Flammen über Arcadion
giftig. »Jemandem wie dir will ich auch gar nicht gefallen.« Ihr war klar, dass freche Widerworte ihre Lage nur noch schlimmer machten. Andererseits war das vermutlich gar nicht mehr möglich.
»Schweig!«, befahl Ramin ihr. Er packte sie grob am Arm und wandte sich an Caryas Wächter. »Ich übernehme die Angeklagte ab hier.«
Die Männer nickten und gingen neben der Tür in Habachtstellung.
»Komm«, knurrte Ramin Carya an. »Dein Vollstrecker wartet.«
Kapitel 34
Carya Diodato, kommen Sie herein.«
Der Mann hinter dem Schreibtisch sah genauso aus, wie Carya ihn in Erinnerung hatte. Seine drahtige Gestalt steckte in einer schwarzen Uniform, die so steif war, dass er kerzengerade auf seinem Stuhl saß. Das von silbernen Strähnen durchzogene dunkle Haar hatte er mit Pomade nach hinten gekämmt. Die hohe Stirn und die scharfkantigen Züge verliehen seinem Gesicht Ähnlichkeit mit einem Totenschädel. Dass Carya ihn vor wenigen Tagen angeschossen hatte, machte sich bei Inquisitor Loraldi bestenfalls in seiner leicht fahlen Gesichtsfarbe bemerkbar. Außerdem beulte sich seine Uniformjacke im Brustbereich ein wenig, so als trage er darunter einen Verband. Ungeachtet dessen hielt er sich verkniffen aufrecht, als verweigere ihm sein Stolz, vor seinen Untergebenen auch nur die geringste Schwäche zu zeigen.
Zu diesen Untergebenen zählte nicht nur Ramin, der Carya durch das Vorzimmer bis ins Büro des Inquisitors geleitet hatte, sondern auch ein hünenhafter Schwarzer Templer, der in voller Panzerung stumm und reglos wie ein Ausstellungsstück in einer Ecke des Raumes aufragte. Carya hätte gerne gewusst, ob Loraldi den Soldaten allein ihretwegen herbestellt hatte. Das müsste ich dann wohl als Kompliment ansehen , dachte sie.
»Setzen Sie sich«, befahl Loraldi mit eisiger Miene und deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. Er nickte Ramin zu. »Es ist gut. Warten Sie im Vorzimmer.«
»Jawohl, Signore.« Ramin salutierte zackig, machte kehrt und verschwand wieder durch die Tür.
Carya ließ sich unterdessen auf dem angebotenen Stuhl nieder. Die Sitzfläche fühlte sich hart an, und der Stuhl schien etwas niedriger zu sein als der, auf dem Loraldi saß. Beides war sicher kein Zufall.
Loraldi zückte einen Stift und nahm sich ein Blatt Papier vor. Auf dem Schreibtisch vor ihm lag aufgeschlagen eine dunkle Kladde, in der weitere Unterlagen zu sehen waren. Während er sich noch sortierte, ging Carya blitzschnell ihre Lage durch.
Wenn man es recht bedachte, hatte die Inquisition nicht viel gegen sie in der Hand. Ja, sie hatte sich unerlaubt Zugang zu einem Prozess erschlichen und eine Invitro dorthin mitgenommen. So viel war aktenkundig. Die Schüsse in der Richtkammer konnte man ihr jedoch nicht nachweisen, zumal sich Rajael als schuldig bekannt hatte. Anders sah es mit dem Kampf gegen die Soldaten des Tribunalpalasts in den Straßen von Arcadion aus. Sie hatte auf einen der Männer geschossen und ihn womöglich getötet. Das dürfte mehr als ein Zeuge gesehen haben. Andererseits hatte sie sich vor dem Kampf verkleidet, um sich unerkannt in der Stadt bewegen zu können. Sie konnte ihre Teilnahme an dem Versuch der Ascherose, Gefangene – die zufällig Caryas Eltern waren – zu befreien, leugnen. Wie glaubwürdig das war, würde sich zeigen.
Bedauerlicherweise waren all ihre Überlegungen hinfällig, wenn Loraldi sie schlicht dafür verurteilte, dass er sie für den Grund seines gegenwärtigen körperlichen Ungemachs hielt. Die Inquisition scherte sich um Gesetze und Gerechtigkeit wenig. Abgesehen davon , dachte Carya düster, bin ich vor dem Gesetz tatsächlich schuldig, auch wenn unsere Gesetzgeber weitaus mehr Schuld auf sich geladen haben als ich.
»Carya Diodato«, begann Loraldi in diesem Augenblick. »Ist das Ihr richtiger Name, Ihr vollständiger Name?«
»Ja«, bestätigte Carya.
»Geburtstag?«
Sie nannte ihm den Tag, den ihre Eltern stets mit ihr gefeiert hatten.
»Und wo sind Sie geboren?«
»In Arcadion, wo sonst?«
Loraldi hob den Blick, und seine Lippen umspielte ein dünnes Lächeln. »Um genau das zu klären, sitzen wir hier.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Carya.
Der Inquisitor klopfte ungeduldig mit seinem Stift auf die Tischplatte. »Signorina Diodato, Sie sind – neben einigen anderen Punkten – des Angriffs auf einen Großinquisitor und fünf Inquisitoren sowie der Verschwörung mit einer Widerstandsgruppe angeklagt … «
»Mit all dem habe ich nichts zu tun!«,
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