Flammen über Arcadion
sie grob am Arm, um sie aus der Zelle zu ziehen. Hinter ihm im Gang bemerkte Carya einen zweiten Mann, der einen Revolver in der Hand hielt. Wäre sich Carya ihres eigentümlichen Kampfgeschicks sicherer gewesen, hätte sie vielleicht versucht, die beiden Wächter anzugreifen. Aber da ihre Gaben sie nur unregelmäßig beehrten, und Carya obendrein nicht die geringste Ahnung hatte, wie stark ihr Gefängnis gesichert war, wehrte sie sich nicht, sondern ließ zu, dass der erste Wächter sie gegen die Kerkerwand presste und ihre Arme auf den Rücken zwang, um ihr Handschellen anzulegen.
Die Wachen führten sie durch den Zellentrakt und eine Treppe hinauf in einen Korridor, dessen strenge Kargheit Caryas Ahnung verstärkte, dass sie sich im Tribunalpalast befand. Sie konnte sich zwar nicht erinnern, jemals in diesem Trakt des riesigen Gerichtsgebäudes gewesen zu sein, aber sie kannte Korridore wie diesen von Besuchen bei ihrem Vater.
Der Gedanke an ihre Eltern versetzte ihr einen Stich in der Brust. Waren auch sie noch irgendwo hier eingesperrt, um für dieTaten ihrer Tochter zu büßen? Hatte man sie freigelassen, jetzt,wo sie nicht länger als Köder für Carya dienen konnten? Oder hatte die Inquisition sie gar ermordet? Carya hoffte, dass sie es im Laufe des Verhörs erfahren würde, das ihr zweifellos bevorstand.
Doch zu ihrer Überraschung wurde sie nicht in ein Verhörzimmer gebracht. Stattdessen erwartete sie hinter der Tür, die ihre Begleiter am Ende des Korridors öffneten, eine Frau im weißen Kittel. In dem Raum befanden sich darüber hinaus eine Liege, eine Waage, zwei Holzstühle und ein Rolltisch mit medizinischen Instrumenten. An den Wänden hingen Schränkchen mit Milchglasscheiben. Es sah sehr nach einem Untersuchungszimmer aus.
»Dottore Spietato, Ihre Patientin«, meldete der erste Wächter.
»Was mache ich hier?«, wandte sich Carya an ihren Begleiter.
Der Mann antwortete nicht, sondern schob sie nur in den Raum hinein. »Keine faulen Tricks«, warnte er sie. »Wenn du Ärger machst, prügeln wir dich windelweich.« Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich.
Die Frau im Kittel hob ein Klemmbrett. »Carya Diodato?«, fragte sie, während sie näher trat, überflüssigerweise.
»Ja«, sagte Carya.
»Zieh dich aus.«
»Warum?«
Spietato verpasste ihr eine Ohrfeige. »Nicht › Warum? ‹ , sondern › Jawohl, Signora ‹ !«, fauchte sie.
Carya presste die Lippen zusammen. Mit einem schnellen Schritt wäre sie bei dem Rolltisch gewesen. Ein Griff und sie hätte beispielsweise die Spritze, die darauf lag, in der Hand gehabt, um sie der Ärztin in den Hals zu rammen. Aber weit wäre sie damit nicht gekommen. Das einzige Fenster war vergittert, und vor der Tür standen zwei Bewaffnete.
Sie senkte den Blick. »Jawohl, Signora.« Gehorsam löste sie den Gürtel und zog das graue, ärmellose Kleid aus, danach auch noch Schuhe und Strümpfe. Ihre Unterwäsche behielt sie an, aber das schien für Spietato in Ordnung zu sein, denn sie sagte nichts weiter. Im nächsten Moment jedoch runzelte sie die Stirn. »Was ist das?«, fragte sie und deutete auf Caryas Hals, wo nun die Kette zu sehen war, an der Carya den Anhänger trug, der die Flugkapsel für sie geöffnet hatte.
»Ein … ein Schmuckstück«, sagte sie zögernd. »Meine Mutter hat es mir geschenkt.«
»Gib es her«, forderte die Ärztin. Carya zögerte und fing sich eine weitere Ohrfeige ein. »Her damit, habe ich gesagt«, herrschte Spietato sie an.
Von hilflosem Zorn erfüllt nahm Carya den Anhänger ab und händigte ihn der Frau aus. »Der sieht seltsam aus«, sagte diese, als sie ihn zur Seite legte. »Gar nicht wie ein normales Schmuckstück.« Sie warf Carya einen misstrauischen Blick zu. »Ich denke, den werde ich erstmal behalten.«
Am liebsten hätte Carya sie angeschrien, dass sie das nicht dürfe, aber sie schwieg. Im Augenblick hätte es ohnehin nichts genützt zu protestieren.
»Ich werde jetzt einige Untersuchungen an dir vornehmen«, erklärte Spietato. »Es wird nicht weh tun, also mach kein Theater. Je besser du mitarbeitest, desto schneller sind wir hier fertig. Verstanden?«
Carya nickte. Was blieb ihr auch anderes übrig. Letzten Endes war das Beste, worauf sie im Augenblick hoffen konnte, Zeit zu gewinnen. Sie musste möglichst viel über ihr Gefängnis in Erfahrung bringen und so lange am Leben bleiben, bis sich ihr eine Möglichkeit zur Flucht bot oder bis Jonan kam, um sie rauszuholen.
Spietato hatte die
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