Flammen über Arcadion
entfernt ragte ein bewaldeter Buckel aus dem See auf. Vereinzelte Gebäude sprenkelten das grüne Ufer. Anzeichen von Leben fielen Jonan nicht auf. Aber er war richtig hier. Das musste das Refugium der Invitros sein. »Ich bin den ganzen Weg hier heraufgefahren, jetzt werde ich diesen letzten Kilometer wohl auch noch bewältigen«, brummte er leise, auch wenn das leichter gesagt als getan war, denn er hatte nie schwimmen gelernt.
Suchend schritt er das Ufer ab.An einem Ort, wo die Menschen früher Urlaub gemacht hatten, musste es doch irgendwo Boote geben. Die Invitros schienen hingegen große Mühe darauf verwendet zu haben, jedwede Möglichkeit, zur Insel überzusetzen, zu unterbinden.
Es war schon fast dunkel, als er schließlich unter einem Gebüsch ein knallrotes Boot entdeckte, das sich mithilfe von Pedalen antreiben ließ. Es wies ein faustgroßes Loch im Boden auf, aber Jonan zog kurzerhand sein Hemd aus und stopfte es damit. Dann ließ er das fragwürdige Gefährt zu Wasser, versteckte sein Motorrad zwischen dem Buschwerk und machte sich daran, zur Insel hinüberzufahren.
Sein Ziel war ein in den See hinausragender Bootspier an der Nordspitze, an den sich einige Steinhäuser anschlossen. Etwas oberhalb von ihnen, auf der Inselkuppe, erhob sich der Turm einer alten Kirche.
Obwohl er sich anstrengte und so schnell strampelte, wie er konnte, wurde es dunkel, bevor Jonan die Insel erreichte. Er ließ seinen Blick über die finstere Landmasse schweifen, die vor ihm aufragte. Nirgendwo vermochte er einen Lichtschein auszumachen. Die Insel wirkte wie ausgestorben. »Das wäre ein ganz schöner Reinfall«, murmelte er.
Langsam glitt er mit dem Boot näher. Als der Schatten des Piers vor ihm auftauchte, zog er seinen Beutel hervor und holte seine Taschenlampe heraus. Er schob den Rotfilter über die Linse und knipste sie an.
Im nächsten Moment wurde er vom hellen Schein eines Strahlers erfasst, und das charakteristische Geräusch eines Gewehrs, das durchgeladen wurde, drang an seine Ohren. »Ganz ruhig, mein Junge«, knurrte eine heisere Stimme. »Keine falsche Bewegung.«
Kapitel 35
Jonan hob die Hände und blinzelte in das Licht. »Mein Name ist Jonan Estarto. Ich suche die Invitroenklave.«
»Du kannst von mir aus den Mondkaiser suchen«, erwiderte der Mann. »Bevor du auch nur einen Fuß auf diese Insel setzt, will ich das Gewehr auf deinem Rücken haben.« Er machte eine auffordernde Bewegung mit seiner eigenen Waffe.
Mit zusammengekniffenen Augen versuchte Jonan, mehr zu erkennen. Doch der Fremde stand im Schatten, sodass lediglich die Umrisse seiner Gestalt auszumachen waren. Offensichtlich handelte es sich um einen kräftigen Mann, dessen leicht gebeugte Haltung allerdings den Schluss nahelegte, dass er nicht mehr der Jüngste war. Das Gewehr in seinen Händen war bei Weitem nicht so klobig wie Jonans, das bedeutete jedoch nicht, dass es nicht ebenso tödlich gewesen wäre.
»Also, was ist?«, fragte der Mann, als Jonan zögerte.
»Schon gut, schon gut. Sie bekommen es.« Eigentlich gefiel es Jonan überhaupt nicht, seine Waffe abzugeben. Aber was bliebihm anderes übrig? Er war als Bittsteller hier und hatte sich den Wünschen der Invitros zu fügen. Abgesehen davon hätte eranihrer Stelle wahrscheinlich genauso gehandelt. Man ließ einen Fremden mit einem Templersturmgewehr einfach nicht an einen Ort, andem sich Frauen und Kinder verstecken mochten.
»Dann werfe ich dir jetzt ein Seil zu«, sagte der Mann. »Damit ziehe ich dich bis zum Pier.Anschließend schnallst du das Gewehr ab und legst es dort hin.«
Jonan nickte und tat wie ihm geheißen. Als der Mann ins Licht trat, um das Sturmgewehr an sich zu nehmen, sah Jonan, dass er sich nicht getäuscht hatte. Sein Gegenüber besaß schütteres, silbergraues Haar, und in sein Gesicht hatten sich tiefe Falten gegraben. Dass er sein eigenes Gewehr allerdings ganz entspannt in der rechten Armbeuge hielt, warnte Jonan, den Alten nicht zu unterschätzen. Es musste noch einiges an Kraft in diesem Körper stecken. Auch die paramilitärische Kleidung, die er trug, eine in den Schaft seiner Schnürstiefel gesteckte dunkle Hose und eine dicke Jacke, wies darauf hin, dass es sich bei dem Mann um einen ehemaligen Soldaten handelte.
Der Mann hängte sich das Sturmgewehr über die Schulter. »Trägst du sonst noch Waffen bei dir?«
»Nein«, erwiderte Jonan. Den Elektroschockstab hatte er nicht bei sich, sondern bei Pitlit im Dorf der Mutanten gelassen.
Weitere Kostenlose Bücher