Flammen über Arcadion
Arcadion.«
»Das also haben Tobyn und seine Bekannten gemacht?« Carya konnte es kaum fassen. Es wurde immer abenteuerlicher!
»Er nicht«, entgegnete Rajael. »Er hätte das gar nicht gekonnt. Er studiert Geschichte, nicht Naturwissenschaften, wie du weißt. Aber ja, die anderen, mit denen er in letzter Zeit häufiger Kontakt hatte und die ihn erst in solche Gefahr gebracht haben, waren Genetiker und Programmierer, die ein solches Labor betrieben haben.«
»Aber warum? Wieso sollte jemand ein solches Risiko auf sich nehmen? Es ist doch bekannt, dass die Inquisitoren des Tribunalpalasts jeden Verstoß gegen das Gesetz hart bestrafen. Die natürliche Schöpfung Gottes darf nicht angetastet werden.«
Rajaels Gesicht nahm einen verbitterten Ausdruck an. »Weil die Männer, die die Invitros vor dem Sternenfall erschaffen haben, ihre künstlichen Kinder um genau diese Gabe der natürlichen Schöpfung betrogen haben. Sie haben die Invitros als Dienerrasse geschaffen, die nie mehr sein sollte als das: ein Heer aus perfekten Arbeitern, Soldaten und Bediensteten. Dass Menschen, die künstlich geboren wurden, nichtsdestotrotz Menschen sein würden, mit dem menschlichen Bedürfnis nach Liebe, Wärme und Geborgenheit, kam ihnen einfach nicht in den Kopf. Und dieses Gedankengut ist heute weiter verbreitet denn je. Was glaubst du, warum die meisten Invitros unter sich bleiben?«
Genau wie die Garibaldis, dachte Carya. Laut ihren Eltern waren sie beide Invitros gewesen, ein Paar, das womöglich zusammengefunden hatte, weil die normalen Menschen nichts mit ihnen hatten zu tun haben wollen. Könnte ich das?, fragte sich Carya. Wäre ich so mutig wie Rajael, mich mit einem Invitro einzulassen? Sie wusste es nicht. Aber tief in ihrem Inneren verspürte sie ein absurdes Gefühl von Stolz auf ihre Freundin aufsteigen, dass diese Tobyn nicht nach seiner Herkunft, sondern nach seinem Wesen beurteilt hatte.
»Nun, die Fähigkeit zu lieben konnten die Wissenschaftler den Invitros nicht nehmen«, fuhr Rajael unterdessen fort. »Aber sie verweigerten ihnen die Fähigkeit, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen. Invitros sind unfruchtbar. Sie können also nur ein Kind haben, indem sie eines adoptieren – was der Lux Dei zu verhindern weiß – oder indem sie eines in einem Brutlabor das Licht der Welt erblicken lassen.«
»Soll das heißen … ?« Caryas Augen weiteten sich, als sie begriff, was Rajael ihr da beichtete.
Die Freundin zog die Knie noch etwas fester an die Brust. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie nickte. »Ja. Tobyn und ich haben uns ein Kind gewünscht. Er hat für mich mit dem Brutlabor Kontakt aufgenommen, um herauszufinden, ob und wann es möglich sein würde, ein Kind zu bekommen. Und dabei haben ihn die Schwarzen Templer erwischt. Und jetzt werden sie … Ich weiß es nicht, aber ich befürchte das Schlimmste.« Sie fing an zu schluchzen.
Carya schlug die Hand vor den Mund. »Oh Gott, Rajael, das ist ja schrecklich.« Sie rückte neben die Freundin und schlang die Arme um sie. Rajaels Tränen kannten nun kein Halten mehr. Völlig aufgelöst vergrub sie den Kopf an Caryas Schulter.
Und Carya konnte nicht anders: Auch sie weinte. Ihr Verstand mochte ihr sagen, dass Rajael und Tobyn furchtbar dumm und leichtsinnig gehandelt hatten. Ihr Herz aber fühlte sich zu den Liebenden hingezogen, und deren grausames Schicksal rührte sie zutiefst. Womöglich waren die ganzen Romane schuld, die sie heimlich mit ihrer Freundin las. »Sag, Rajael, wie kann ich dir helfen?«
Rajael brauchte noch ein paar Sekunden, um sich wieder zu beruhigen, doch dann löste sie sich von Carya und blickte sie aus geröteten Augen an. »Ich muss wissen, was aus ihm geworden ist. Er wollte, dass ich die Stadt verlasse, wenn ihm etwas zustößt.Aber das käme mir wie Verrat vor. Ich kann nicht gehen, ohne nicht wenigstens versucht zu haben, ihn noch einmal zu sehen. Deshalb hilf mir, Carya. Hilf mir, in den Tribunalpalast zu gelangen und Tobyn zu finden.«
Erschrocken rückte Carya ein Stückchen von ihr ab. »Das ist Wahnsinn, Rajael. Du kannst nicht einfach in den Tribunalpalast spazieren und einen Gefangenen dort rausholen.«
»Das will ich auch gar nicht«, widersprach Rajael. Sie schniefte und wischte sich mit den Händen über die Augen. Ihre Stimme nahm einen gefassten Tonfall an. »Keine Angst, Carya, ich bin nicht verrückt. Mir ist klar, dass eine Rettung unmöglich ist. Ich will ihn wirklich nur sehen und mich von
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