Flammen über Arcadion
hatte Jonan nicht gewollt.
Mit Wucht trat er gegen den Karren. Der Tritt ließ auch noch den Rest der verbliebenen Ladung durch die Gegend fliegen. Jonan hatte vergessen, die Kraftverstärkerservos wieder herunterzuregeln.
Er aktivierte den Funk wieder. »Verzeihung, Capo. Ich musste mich kurz abreagieren.«
»Schon in Ordnung, Estarto«, sagte Bruto. »Geht’s wieder besser?«
»Ja, Truppführer.«
»Halten Sie die Stellung. Ich bin gleich bei Ihnen.«
»Verstanden.«
Eine Bewegung weckte Jonans Aufmerksamkeit. Der Angeschossene, der Mann namens Tobyn, regte sich noch. Da er einige Meter entfernt auf dem Boden gelegen hatte, war er von der Explosion der Granate offenbar nicht so stark getroffen worden wie seine Gefährten.
Jonan ging zu ihm hinüber und musterte ihn. Er lag auf dem Bauch, und seine braune Jacke wies ein blutiges Austrittsloch in Höhe der linken Schulter auf. Jonans Gewehrkugel hatte den Körper glatt durchschlagen. Ansonsten schien er keine schwereren Verletzungen davongetragen zu haben. Zumindest stand kein Arm oder Bein in widernatürlichem Winkel ab, und es bildete sich auch keine größer werdende Blutlache unter ihm.
Jonan arretierte das Sturmgewehr an seiner Panzerung. Er beugte sich hinunter und drehte den auf dem Bauch Liegenden um. Der junge Mann stöhnte. Schmutz bedeckte seine Kleidung, und das schwarze, schulterlange Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Jetzt sah Jonan auch, dass Blut aus einer Platzwunde an der Stirn und aus seinen Ohren lief. Benommen starrte der Mann ihn an. Als er wahrnahm, wer da vor ihm aufragte, weiteten sich seine Augen, und seine Miene verzog sich angsterfüllt. Er wimmerte und versuchte wegzukriechen, aber Jonans gepanzerte Hand lag eisenhart auf seiner gesunden Schulter und verhinderte das.
Jonan konnte die Furcht des Mannes gut verstehen. Die Panzeranzüge der Schwarzen Templer sahen schon bedrohlich aus, wenn man sie bei Tageslicht und untätig vor dem Tribunalpalast stehen sah. Aus unmittelbarer Nähe und eingehüllt in Rauch und Dunkelheit musste Jonans Helm Tobyn wie die Fratze eines Dämons aus der Hölle vorkommen.
»Keine Sorge,Tobyn«, sagte Jonan, von dem absurden Bedürfnis erfasst, den Mann zu beruhigen. »Wir kümmern uns um Sie.«
Erst als er die Worte ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, dass man sie auch vollkommen anders auffassen konnte …
Kapitel 8
Als Carya am nächsten Morgen von der Schule heimkam, wurde sie von Rajael bereits vor der Tür des elterlichen Hauses abgefangen. Das Gesicht ihrer Freundin war aschfahl, und ihre Augen sahen gerötet aus, als hätte sie geweint.
»Carya«, presste die junge Frau mit erstickter Stimme hervor. »Carya, ich muss dringend mit dir sprechen. Ich brauche deine Hilfe. Hast du Zeit?«
»Ich … « Carya zögerte. Eigentlich wollte sie heute Nachmittag zur Templerjugend gehen. Rajaels Geschichte über Tobyn hatte ihr die Augen geöffnet. Manchmal musste man einfach etwas riskieren, wenn man jemanden kennenlernen wollte. Daher hatte sie sich fest vorgenommen, Ramin anzusprechen und zu versuchen, ihn zu einem Treffen außerhalb der Jugendgruppe zu bewegen.
Andererseits war Rajael ihre Freundin, und sie schien wirklich etwas auf dem Herzen zu haben. »Natürlich«, bestätigte sie etwas verspätet. »Ich esse nur rasch mit meinen Eltern zu Mittag. Anschließend bin ich … «
»Nein«, unterbrach Rajael sie gehetzt. »Nein, wir müssen sofort reden. Es tut mir leid, aber es ist wirklich wichtig.«
»Ich kann nicht einfach das Mittagessen ausfallen lassen«, erklärte Carya ihr. »Meine Mutter wird mir was erzählen!«
»Bitte!«, drängte Rajael. »Ich würde mich nicht an dich wenden, wenn ich eine andere Lösung wüsste. Es geht um Tobyn.«
Carya warf einen letzten Blick zur Eingangstür hinüber, dann nickte sie ergeben. Ihr würde schon irgendeine Ausrede einfallen, warum sie nicht pünktlich bei Tisch erschienen war. »Also gut. Was ist denn passiert?«
»Nicht hier!«, sagte Rajael und nahm Caryas Hand. »Komm mit. Wir laufen zu unserem Platz oben auf der Mauer. Dort sind wir ungestört.« Sie deutete hinüber zum Aureuswall, der sich jenseits der Häuser erhob.
Gemeinsam eilten sie die Straße hinauf, bis sie das Gebäude erreichten, in dem Rajaels Wohnung lag. Etwas oberhalb davon befand sich eine steile Gasse, die nach rechts den Pinciohügel hinaufführte. Vorbei an den übermannshohen Hecken und Steinmauern der direkt unterhalb der Stadtmauer liegenden Anwesen liefen Carya und
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