Flammen über Arcadion
ein paar Minuten.
Carya blickte in den Rückspiegel zu ihrer Freundin. »Warum? Wir müssen vor unseren Verfolgern fliehen.«
»Es gibt keine Verfolger«, erwiderte Rajael. »Wir haben sie längst abgehängt. Aber dieser Motorwagen ist viel zu auffällig. Alle Leute werden sich an ihn erinnern.«
Carya richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Dank der abendlichen Stunde war nicht viel los auf den Straßen. Dennoch musste sie ihrer Freundin recht geben. Die Menschen, die noch unterwegs waren, hoben die Köpfe und schauten dem Fahrzeug neugierig nach, während es an ihnen vorüberfuhr. »In Ordnung«, sagte sie nickend.
Sie lenkte den Wagen in eine kleinere Seitenstraße und bog dann willkürlich in einen engen Hof ein, in dem mehrere Kutschen aufgereiht standen. Mit einem unschönen Ruck brachte sie das Fahrzeug zum Stehen. Sie schaltete den Motor ab und drehte sich zu ihrer Freundin um. »Und jetzt?«
»Laufen wir zu mir nach Hause. Wir müssen die Kleider loswerden.«
»Was wirst du deiner Bekannten sagen, von der wir die Kleider geliehen haben?«, wollte Carya wissen. Sie blickte an sich herunter. Ihr Kleid war schmutzig, und an der Stelle, wo sie auf ihrer Flucht aus dem Tribunalpalast mit dem Saum an einem Vorsprung hängen geblieben war, klaffte ein hässlicher Riss.
Rajael zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es noch nicht. Mir wird etwas einfallen. Jetzt komm.« Sie öffnete die Tür.
»Was machen wir mit den Waffen?«, fragte Carya und blickte auf den Revolver auf dem Beifahrersitz.
»Lass sie liegen«, riet ihr Rajael und schob das Sturmgewehr unter den Vordersitz. »Wir brauchen sie nicht mehr.«
Einen Moment lang zögerte Carya. Die Waffe war leer geschossen, hatte also wirklich keinen Nutzwert mehr, sah man davon ab, dass sie ein gefährliches Beweismittel darstellte, wenn man sie bei ihr fand. Trotzdem streifte sie zu ihrer eigenen Überraschung die langen Handschuhe ab, wickelte den Revolver darin ein und nahm ihn an sich, bevor sie Rajael folgte.
Ihre Freundin blickte sie nur schräg von der Seite an, sagte aber nichts.
Gemeinsam gingen sie schnellen Schrittes die Gasse hinunter, dann folgten sie einer zweiten, und kurz darauf erreichten sie eine breitere Querstraße, wo sie sich eine Kutsche riefen, die sie in einem Bogen bis zum nördlichen Rand des Pinciohügels bringen sollte. Es war unauffälliger, in einer Kutsche zu reisen, vor allem, wenn man offensichtlich Abendgarderobe trug wie sie beide.
Während der ganzen Fahrt sprachen sie kein Wort. Stattdessen saßen sie sich nur schweigend gegenüber. Carya klammerte sich an den eingewickelten Revolver auf ihrem Schoß, Rajael hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen und drückte sich in die Ecke der Kutschkabine, als wolle sie darin versinken.
Beim Licht Gottes, was habe ich getan … ? So langsam begann Carya das Ausmaß dessen zu begreifen, was beinahe ohne ihr bewusstes Zutun in den letzten Minuten geschehen war. Sie hatte auf einen Inquisitor geschossen – und nicht nur das! Sie hatte Großinquisitor Aidalon persönlich angegriffen. Ihre Erinnerung gab ihr keine Antwort darauf, ob sie Aidalon und Loraldi nur verletzt oder sogar getötet hatte. Mit dem Einschlag der Kugel in Tobyns rechte Schläfe wurden die Bilder in ihrem Kopf undeutlich. So oder so hatte sie sich eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht. Und das, ohne im Geringsten darauf vorbereitet gewesen zu sein.
Im gleichen Moment kam ihr ein Gedanke, und ihr wurde eiskalt. Sie haben meinen Namen, erkannte sie. Alesandru hat die Einladung auf meinen Namen ausstellen lassen. Rajael ist sicher, denn ich habe sie ja als Miraela eintragen lassen. Aber mein Name ist bekannt. Sie werden ihn über meinen Vater leicht zurückverfolgen können. Licht Gottes, womöglich sind sie schon bei meinen Eltern zu Hause und warten auf mich. Sie würden ihren Vater und ihre Mutter verhören, und danach würden sie sie finden und genauso foltern wie diesen Invitro, den Loraldi vor ihren Augen getötet hatte.
Und an all dem war Rajael schuld, ihre beste Freundin. Sie hatte ihre Freundschaft missbraucht und Carya diese ganze Katastrophe erst eingebrockt. Caryas Leben lag in Trümmern, nur weil Rajael nicht stark genug gewesen war, selbst zu schießen, nein, im Grunde nur weil Rajael dumm genug gewesen war, überhaupt schießen zu wollen. Warum hatte sie sich nur mit diesem Tobyn eingelassen, einem Künstlichen?
Carya spürte, wie Panik sie ergriff. Sie musste hier raus! Sie hielt es
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