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Flammen über Arcadion

Flammen über Arcadion

Titel: Flammen über Arcadion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Perplies
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Freundin. Sie fühlte nach ihrem Puls, horchte nach ihrem Atem. Da war nichts. Ein grauenvoller Anfall von Übelkeit zog ihr den Magen zusammen. »Rajael, oh bitte nicht. Das nicht.«
    Sie eilte zum Tisch hinüber und entzündete mit zitternden Fingern eine der Kerzen. Danach kehrte sie zur Schlafcouch zurück. Selbst im gelben Licht der Kerzenflamme sah das schmale Gesicht der Siebzehnjährigen, das von ihrem hellbraunen Lockenhaar umgeben war, bleich und krank aus. Augen und Lippen waren geschlossen. Man hätte sie auch für schlafend halten können.
    Carya stellte die Kerze neben dem Kopfende der Couch ab und suchte erneut nach irgendeinem Lebenszeichen. Ihre Mühe erwies sich als vergeblich.
    Ihre Freundin war tot.
    Neben Rajaels herunterhängendem Arm lag ein hübscher Kelch aus Kristallglas auf dem Boden, einer von zweien, die Rajael besaß und aus denen die beiden Mädchen an manchen Abenden Rotwein getrunken hatten. Er war noch feucht von irgendeiner klaren Flüssigkeit. Als Carya ihn anhob und daran roch, rümpfte sie die Nase. Das Gebräu roch bitter, und es war nicht die Bitterkeit von starkem Alkohol, den eine verzweifelte Seele in ihrer Einsamkeit womöglich in sich hineingeschüttet hätte. Bei dieser Flüssigkeit handelte es sich um etwas anderes. Das war Gift! Rajael hatte sich vergiftet.
    »Oh nein. Rajael … « Wie betäubt ließ sich Carya neben ihrer Freundin zu Boden sinken. Das Glas fiel ihr aus der Hand, landete mit einem dumpfen Pochen auf den Holzbohlen und rollte davon. Sie hob die Hände vors Gesicht und schloss die Augen. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. »Warum hast du das nur getan?«, flüsterte sie erschüttert, während sie spürte, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten.
    Carya verstand, dass Rajael nicht in den Klauen der Inquisition hatte enden wollen, nicht nach dem, was sie am heutigen Tag erlebt hatten und wovon ihre Freundin offenbar deutlich mehr als sie selbst gewusst hatte. Warum allerdings war sie nicht aus Arcadion geflohen, so wie Tobyn es die ganze Zeit von ihr gewollt hatte? Hatte sie Angst davor gehabt, alleine durch die Wildnis irren zu müssen? Oder hatte sie sich geopfert, um den Inquisitoren Genugtuung zu verschaffen und Carya und deren Familie dadurch vor Racheakten zu schützen?
    Mit tränenverschleiertem Blick hob Carya den Kopf und sah sich erneut in der Dachkammer um. Hatte Rajael vielleicht einen Abschiedsbrief hinterlassen? Sie stand auf und hob die Kerze, um besser sehen zu können.
    Erst jetzt fiel ihr auf, dass auf einem Stuhl neben der Tür der Revolver lag, mit dem Carya auf Tobyn, Loraldi und Aidalon geschossen hatte. Daneben lag tatsächlich ein Blatt Papier, das Rajaels elegant geschwungene Handschrift trug. Die Buchstaben wirkten gehetzt, als habe Caryas Freundin die Zeilen in großer Eile verfasst.
    Hiermit gestehe ich das Eindringen in den Tribunalpalast, die Erlösung von Tobyn Cortanis und den Angriff auf die Inquisitoren des Lux Dei. Ich bereue nichts. Ich hoffe vielmehr, diese Mörder werden niemals vergessen können, was ich ihnen angetan habe.
    Für die Freiheit!
    Rajael Vellanecho
    Carya sank neben dem Stuhl auf die Knie. Also hatte Rajael sich wirklich geopfert. Dieses Schreiben ließ keinen Zweifel. Nur, würde diese Form der dreisten Selbstrichtung der Inquisition genügen? Es war zu hoffen, ansonsten hatte Caryas Freundin ihr Leben umsonst gegeben.
    Als Carya aufschaute, bemerkte sie, dass die Lehne des Stuhls zwei einzelne Buchstaben zierten: RV . Sie runzelte die Stirn. Rajael Vellanecho? Das ergab keinen Sinn. Rajael neigte nicht dazu, ihr Hab und Gut mit ihren Initialen zu verzieren, schon gar nicht irgendeinen Stuhl. Außerdem hätte sie schwören können, dass die Buchstaben heute Nachmittag, als sie sich in Rajaels Wohnung umgezogen hatten, noch nicht auf dem Stuhl geprangt hatten.
    Es dauerte einen Moment, bis Carya begriff. Regalversteck! Natürlich!
    In der Kammer gab es eine Dachschräge, die fast bis zum Boden reichte. Da Rajael ihre Bücherregale davorgestellt hatte, befand sich ein kleiner, nur schwer erreichbarer Bereich dahinter. Caryas Freundin hatte ihn zusätzlich durch ein Brett verschlossen, das sie mit der gleichen Tapete beklebt hatte, die auch ihre Wände zierte, sodass man glauben mochte, die Regale stünden direkt an der Wand. In dem Geheimversteck, das dadurch entstanden war, bewahrte sie ihr Tagebuch und einige andere Habseligkeiten auf, von denen sie nicht wollte, dass ihre Vermieterin oder

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