Flammen über Arcadion
Hause, aber er wird Nachsicht walten lassen, wenn ich ihm die Lage schildere. Sein Wort hat ein gewisses Gewicht im Palast.Vielleicht kann er mir helfen,Aidalon von Caryas Spur abzubringen.« Caryas Vater warf ihr einen beschwörenden Blick zu. »Gott helfe uns, dass der Großinquisitor nicht schwer verletzt wurde!«
Niedergeschlagen schaute Carya zu Boden. Es gab vieles, was sie gerne noch gesagt hätte. Obgleich sie Rajael oben im Park in ihrer Wut am liebsten gleich den Schwarzen Templern zum Fraß vorgeworfen hätte, widerstrebte es ihr auf einmal, die Freundin so zu verraten. Eigentlich verdiente Rajael all das, was folgen würde, nachdem Caryas Vater seine Aussage gemacht hatte. Schließlich war sie diejenige, die hatte schießen wollen. Carya hatte nur stellvertretend den Willen ihrer Freundin ausgeführt. Aber so sehr sie sich das auch einredete, sie konnte ein schlechtes Gewissen nicht abschütteln.
Dennoch schwieg sie, als ihr Vater aus der Küche ging, im Flur Mantel und Hut nahm und die Wohnung verließ. Er bewegte sich dabei mit den raschen Schritten eines Mannes, der bloß nicht mehr innehalten will, nachdem er sich etwas in den Kopf gesetzt hat aus Angst, den Mut zu verlieren.
Ihre Mutter seufzte und legte Carya den Arm um die Schulter. »Komm, Kind. Wir ziehen dir erstmal diese fremden Sachen aus. Danach versorgen wir deine Blessuren, und anschließend gehst du ins Bett. Der Tag war lang und furchtbar. Morgen sieht hoffentlich schon wieder alles ganz anders aus.«
Habe ich das Rajael nicht gestern im Café auch gesagt? , dachte Carya, aber sie erwiderte nichts, denn sie wollte wirklich glauben, dass es stimmte.
Gehorsam ließ sie sich von ihrer Mutter ins Bad führen und zog dort Schuhe, Kleid und Strümpfe aus. Während sie ihre Wunden von Schmutz reinigte, füllte ihre Mutter hinter ihr den Waschzuber mit kaltem und heißem Wasser. Carya schlüpfte auch aus der Unterwäsche und setzte sich in das vorbereitete Bad. Das Wasser brannte auf ihren Abschürfungen, aber es tat auch unglaublich gut. Wohlig schloss sie die Augen und ließ sich von ihrer Mutter mit einem Schwamm den Rücken waschen. Keine von ihnen sprach ein Wort.
Nach einer Weile stieg Carya wieder aus dem Wasser, trocknete sich ab und ging in ihre Kammer hinüber, wo sie ihr Nachthemd überstreifte, bevor sie ins Bett krabbelte und die Decke bis ans Kinn hochzog.
»So ist es richtig«, sagte ihre Mutter, die ihr gefolgt war und im Türrahmen stand. »Schlaf, mein Kind. Dein Vater wird schon alles regeln. Dir wird nichts geschehen.« Ihre Worte waren aufmunternd gemeint, aber in ihren Augen lag eine Sorge, die sie Lügen strafte. Ein ganz so leichtes Spiel würde ihr Vater mit Männern wie Inquisitor Loraldi und Großinquisitor Aidalon nicht haben. Noch immer konnte das alles ein böses Ende nehmen. Nein, verbesserte Carya sich im Geiste. Es wird ein böses Ende nehmen. So oder so.
Ein Gedanke tauchte in ihrem Bewusstsein auf, eine Angelegenheit, die sie beinahe schon wieder verdrängt hatte. »Mutter?«, fragte sie.
»Ja, meine Liebe.«
Carya setzte sich im Bett auf und zog die Knie an die Brust. Nachdenklich sah sie ihre Mutter an. »Im Tribunalpalast und später auf der Flucht ist etwas sehr Eigenartiges geschehen. Ich … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.« Sie stockte und suchte nach Worten. »Weißt du, ich habe noch nie einen Revolver in der Hand gehalten, und trotzdem konnte ich in der Richtkammer plötzlich damit umgehen, als hätte ich jahrelange Übung. Und etwas später, als wir vor den Wachen fliehen mussten und unser Kutscher längst das Weite gesucht hatte, sah ich diesen schwarzen Motorwagen im Innenhof des Tribunalpalasts stehen, und auf einmal war mir klar, dass ich ihn würde steuern können, wenn ich es versuchte. Ich wusste, wie ich sein Schloss mit einer Haarnadel knacken konnte, und ich wusste, wie ich ihn zum Fahren bringe. Wie ist das nur möglich?«
Einen Moment lang schaute ihre Mutter sie nur mit großen Augen an. »Ich … ich kann dir keine Antwort darauf geben«, sagte sie schließlich. »Ich habe keine Ahnung. Womöglich hat die Verzweiflung ungeahnte Kräfte in dir geweckt. Oder … « Sie trat näher und setzte sich auf die Bettkante. Ein Lächeln hellte ihr von Sorge gezeichnetes Gesicht auf. »Oder vielleicht hat dich das Licht Gottes berührt. Vielleicht wollte Gott, dass du lebst, denn du hast großen Mut bewiesen und eines seiner Kinder vor einem schrecklichen Schicksal
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