Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
holte tief Luft. »Es sei denn, wir schaffen uns einen.«
Sie spürten einen Ruck, auf den ein zweiter folgte. Dann hörten sie ein Wassergeräusch, das anders war als der Wellenschlag. Es schien eher aus einem zweiten Laderaum als von den Rümpfen der beiden Boote neben der Josephine zu kommen. Pitt begriff sofort, was das bedeutete. Der Lastkahn wurde geflutet. Die Leute waren bereit, das Dynamit zu opfern, um ihre beiden gefährlichsten Feinde aus dem Weg zu räumen. Er hätte das voraussehen müssen. Er hörte, wie Voisey die Luft scharf durch die Zähne sog. Auch er hatte verstanden. Der Boden unter ihren Füßen begann sich zu neigen.
»Wir haben nur das Dynamit«, sagte Pitt laut. »Zum Glück sind Zünder dabei. Wir müssen die Luke wegsprengen, und zwar so schnell es geht.«
Voisey keuchte. »Wie viele Streichhölzer haben Sie noch?«
»Ein halbes Dutzend«, sagte Pitt. »Bedauerlicherweise habe ich das nicht vorausgesehen.«
»Ich habe ungefähr drei.«
»Gut. Zünden Sie sie nacheinander an, und halten Sie sie, damit ich etwas sehen kann.«
Voisey gehorchte, und im flackernden Schein machte sich Pitt an die Arbeit, öffnete eins der Dynamitpakete, nahm einen Zünder und formte die leicht klebrige Masse zu einem Streifen, der an der Kante der Luke haften würde. Nachdem Voisey seine Streichhölzer verbraucht hatte, nahm er die Pitts.
Pitt brachte Sprengstoff rund um den Lukenrand an, legte die Lunte an den Zünder und entfernte sich dann, wobei er Voisey mit sich zog. Der Lastkahn hatte inzwischen schwere Schlagseite, und man konnte deutlich hören, wie das Wasser gurgelnd den anderen Laderaum füllte.
Nichts geschah.
»Wie lange dauert das?«, fragte Voisey leise. »Wir gehen unter.«
»Ich weiß. Das Dynamit hätte schon hochgehen müssen.«
Voisey bewegte sich. Pitt fasste nach seinem Arm und hielt ihn zurück. »Nicht! Es kann immer noch detonieren.«
»Wenn das nicht in den nächsten drei bis vier Minuten passiert, nützt uns das nicht viel«, gab Voisey zu bedenken.
»Es sind noch mehr Zünder da«, sagte Pitt. »Wir müssen irgendwo anders eine Öffnung schaffen.« Seine Gedanken jagten sich. Der Lastkahn sank mit dem Heck voraus. Die einzige Möglichkeit bestand darin, den Bug aufzusprengen, weil der noch aus dem Wasser ragen würde. An jeder anderen Stelle würde es schlagartig einströmen, sie mit sich reißen und ihnen den Ausweg versperren.
»Am Bug«, sagte er und erhob sich. »Zünden Sie ein Streichholz an. Ich muss sehen, was ich tue.«
»Wir haben nur noch drei«, sagte Voisey. »Es könnte nicht schaden, wenn es diesmal funktioniert.« In seiner Stimme lag keine Kritik, lediglich messerscharfe Ironie und Angst.
Pitt gab keine Antwort. Die Situation war ihm auch ohne Voiseys Worte klar, und es war besser, an die Aufgabe zu denken, die er vor sich hatte, als an Charlotte, sein Heim, seine Kinder oder das kalte, schmutzige Wasser der Themse, das nur durch eine Schicht Holz von ihm getrennt unmittelbar nebenan gurgelte. Er arbeitete so rasch er konnte, im vollen Bewusstsein dessen, dass Übereilung wie auch der kleinste Fehler ihnen diesen letzten Ausweg versperren würde.
Er drückte das Dynamit gegen die Bugplanken und machte sich daran, den Zünder anzubringen.
Voisey riss das letzte Streichholz an und entzündete damit eine Zigarette, deren Rauch er einsog. Im Laderaum war es wieder dunkel.
Pitt sah nur das glimmende Ende der Zigarette. Er brachte kein Wort heraus.
»Sie hält länger als ein Streichholz«, sagte Voisey ruhig. »Bringen Sie den Zünder an, und dann los.«
Mit zitternden Händen gehorchte Pitt.
Voisey tat einen Zug nach dem anderen an der Zigarette. Pitt kontrollierte den Sitz des Zünders ein letztes Mal. »Fertig.«
Voisey hielt das glimmende Ende der Zigarette an die Lunte. Dann traten sie so weit wie möglich zurück. Inzwischen hatte der Lastkahn so schwere Schlagseite, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnten. Die Lunte knisterte. Es schien endlos lange zu dauern. Pitt hörte schwere Atemzüge. Er nahm an, dass sie von Voisey kamen, merkte dann aber, dass es seine eigenen waren. Draußen in der Dunkelheit schlug das Wasser der Themse gegen den Rumpf.
Ein gewaltiges Krachen ertönte, und eine Druckwelle schleuderte sie nach hinten. Dann wurden sie vom eiskalten Wasser erfasst, und der Lastkahn begann rascher zu sinken.
Pitt stieß sich voran, dem riesigen Loch im Bug entgegen. Er musste es erreichen, bevor der Lastkahn vollständig
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