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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Hinsicht verlassen können, um diesen Jones festzunehmen – vorausgesetzt, ich finde ihn. Ich muss wissen, ob die Aussagen der Anarchisten auf Wahrheit beruhen.« Auf die Hintergründe ging er nicht weiter ein. Ihm ging es nicht nur darum, festzustellen, wer Magnus Landsborough ermordet hatte, sondern um sehr viel mehr. Der Ruf der gesamten Polizei, in der er wie Tellman viele Jahre tätig gewesen war und an die sie glaubten, stand auf dem Spiel.
    Tellman nickte und beendete lustlos seine Mahlzeit. Eine ganze Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen.
    Auf Tellmans Zügen lag unverhohlener Ingrimm. Er stammte aus einer armen, aber zutiefst achtbaren Familie. Sein Vater hatte vom frühen Morgen bis zum späten Abend gearbeitet, um die Kinder ernähren und kleiden zu können. Seine energische und auf größtmögliche Gerechtigkeit bedachte Mutter hatte sich, auch wenn sie oft ärgerlich war, mit einer Hingabe für ihre Sprösslinge eingesetzt, die an Gewalttätigkeit grenzte. Sie hatte sie getadelt, wenn sie die Unwahrheit sagten, zu laut oder zu oft lachten, faul oder hinterhältig waren oder sich in die Angelegenheiten anderer Leute einmischten. Aber sobald ein Außenstehender etwas an ihnen auszusetzen hatte, war sie wie eine Furie dazwischengegangen. Wenn die Kinder etwas leisteten, galt das als ihre selbstverständliche Pflicht, während jede noch so kleine Schwäche rücksichtslos geahndet wurde. Sie hatte sie alle geliebt, am stolzesten aber war sie stets auf Samuel gewesen, weil er sich jederzeit für Recht und Gerechtigkeit einsetzte. Es war ihm entsetzlich peinlich gewesen, von ihr den jüngeren Geschwistern als Vorbild hingestellt zu werden, doch lag ihm mehr an ihrer Meinung als an der aller anderen Menschen, von Gracie einmal abgesehen.
    Mit ansehen zu müssen, wie Kollegen die Polizei, der er diente, in Misskredit brachten, tat ihm in tiefster Seele weh, womöglich mehr noch als Pitt.
    »Ich möchte es ebenfalls wissen«, sagte er ruhig. »Unbedingt. Sollte es auch auf unserer Wache Schutzgelderpresser geben, ist es meine Aufgabe, dem Einhalt zu gebieten. Wenn ich das nicht täte, wäre das nicht besser, als wenn ich mich daran beteiligte.« Er sah Pitt herausfordernd an.
    »Seien Sie vorsichtig«, mahnte Pitt, der wusste, wie leicht Tellman dabei zu Unrecht in ein falsches Licht geraten konnte, wenn man ihn nicht sogar aus dem Weg räumte.
    Nicht zum ersten Mal wäre ein Polizeibeamter in Ausübung seines Dienstes umgekommen. Sollte dies Schicksal Tellman ereilen, würde man es als Heldentod hinstellen, und Wetron würde persönlich sein Lob in höchsten Tönen singen. Es gäbe keine Möglichkeit zu beweisen, wie es wirklich gewesen war. Pitts Inneres krampfte sich bei dieser Vorstellung zusammen, und er merkte, dass er Tellman trotz seiner Streitlust, seiner Vorurteile, seiner Bockbeinigkeit und seines bisweilen übertriebenen Ehrgefühls besser leiden konnte als jeden anderen Menschen außerhalb seiner Familie. Wenn er ihn in diese Geschichte mit hineinzog und ihm dabei etwas widerfuhr, würde er nicht nur Schuldgefühle empfinden, sondern grenzenlose Einsamkeit und einen tiefen Schmerz, wie ihn ein nicht wieder gutzumachender Verlust hervorruft.
    Sie sprachen noch eine Weile miteinander, dann ging Pitt, der sich im letzten Augenblick eine weitere Mahnung verkniff, hinaus in den Abend. Draußen war es noch kälter geworden. In dem Gemisch aus feinem Nebel und Rauch, das in der Luft hing, wirkte das Licht der Straßenlaternen gelblich. Er ging bis zur nächsten Hauptstraße und nahm von dort eine Droschke nach Hause.

    Am folgenden Morgen suchte er Narraway auf, einerseits, um zu berichten, wie weit er mit seinen Nachforschungen gekommen war, aber auch, um zu hören, was dieser selbst in Erfahrung gebracht hatte. Narraway saß vor einem Papierstapel am Schreibtisch, den Federhalter in der Hand.
    »Ja?«, sagte er kurz und hob den Blick, als Pitt die Tür hinter sich schloss.
    Pitt setzte sich, ohne eine Aufforderung abzuwarten. Das hatte er noch nie getan. Nach wie vor war ihm bewusst, dass Narraway sein Vorgesetzter war, und wenn seine eigene Stellung auch offiziell nicht mehr gefährdet war, hatte ihn doch ein Gefühl der Unsicherheit nie verlassen.
    »Ich habe mich gestern wegen der Vorwürfe, die Welling und Carmody in Bezug auf die angebliche Korruption der Polizei erhoben haben, umgehört«, sagte er ohne Einleitung. »Ich wollte ihnen beweisen, dass sie Unrecht haben.«
    »Und das ist Ihnen nicht

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