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Flammen um Mitternacht

Flammen um Mitternacht

Titel: Flammen um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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„bibberte ziemlich häufig um dich. Sie
wünschte, du wärst Theaterkritiker. Da eckst du nicht so oft an.“
    „Doch! Bei
Verrissen immer. Schauspieler und Intendanten (Leiter eines Theaters) würden mich hassen. Lieber ziehe ich den Zorn der Ganoven auf mich.“
    Tom nickte
gedankenvoll. „Ffabe ich also recht getan, als ich meiner Mama riet, sich einen
andern ständigen Begleiter zu suchen.“
    Das war
natürlich Jux. Aber Locke spielte mit, stieß Protestgeheul aus und versuchte,
Tom zu erwürgen. Da beide im Fond saßen, stand der Balgerei nichts im Wege. Tom
röchelte schauerlich unter Lockes streichelnden Fingern.
    Und Gunter
rief: „Gib’s ihm ordentlich. Gleich sind wir am Stadtfriedhof. Da werfen wir
die Leiche raus.“
    „Und sowas
will mein Stiefvater werden“, jammerte Tom. „Wirklich — ein echter Stiefvater!“
    Locke ließ
von ihm ab und wies durch eine beschlagene Scheibe.
    „Seht doch
mal, diese niedlichen Zwerge!“
    Sie waren im
Türkenviertel. Ein Schulbus hielt am Straßenrand, und die ,niedlichen Zwerge’,
Türkenkinder, stiegen aus.
    „Gastarbeiter“,
sagte Gunter, und er wurde ernst. „Die zweite Generation. Aber für diese Kinder
wird viel zu wenig getan. Sie haben keine Chance. Wir holten ihre Eltern
hierher, als wir Arbeitskräfte für Dreckarbeit brauchten — für Tätigkeiten, für
die sich viele bei uns zu schade waren. Jetzt, da die Arbeitslosigkeit steigt
und die Konjunktur ( wirtschaftliche Blüte) welkt, sind sie uns lästig.
Sie haben ihre Heimat aufgegeben und versucht, bei uns Wurzeln zu schlagen,
aber der Boden der Fremde ist wie Beton und feindlich.“
    „Dabei wäre
es doch so einfach, Toleranz ( Duldsamkeit ) zu üben“, sagte Locke. „Nicht
wahr, Tom, wir machen den Anfang. Unsere Kinder... eh... ich meine, die
Generation nach uns wird sich mit den Gast- und Fremdarbeitern vertragen, falls
man die dann überhaupt noch so nennen kann. Sobald sie die deutsche
Staatsangehörigkeit haben, sind sie Deutsche wie wir.“
    „Aber sie
sehen anders aus“, meinte Tom. „Und das Andersartige, das Fremde haftet im
Bewußtsein der Menschen. Fremdes wird von den meisten abgelehnt, wenn es in den
eigenen Lebenskreis eindringt. Das spürst du schon, wenn du dich als
Norddeutscher in südlichen Provinzen ansiedelst oder umgekehrt. Toleranz — das
liegt jedem auf der Zunge und geht so schön schnell über die Lippen. Aber wenn
Toleranz zu beweisen wäre, sind wir engherzig, unduldsam, krähwinklig,
spießbürgerlich und feindselig. Das heißt, nicht nur wir Deutschen. Andere
genauso. Scheint eine menschliche Macke zu sein.“
    „Hast
recht“, nickte Gunter. „Trotzdem darf man sich nie damit abfinden. Tugenden
wollen erkämpft sein, und Charakter kommt nicht von ungefähr.“
    Sie fuhren
jetzt durch eine schlauchenge Einbahnstraße. Zu beiden Seiten parkten
Rostlauben. In jedem zweiten Haus hatte man eine Kneipe eröffnet. Vor den
Eingängen lungerten armselige Gestalten herum. Unfrohe Mienen, wohin man sah.
    Aber dann
entdeckte Gunter zwei Ausnahmen: einen eckigen Typ mit permanentem (pausenlosem )
Grinsen und dem Mund voller Gold. Und einen sehnigen Kerl mit Raubvogelgesicht
und langem braunen Haar.
    Gunter
kannte die beiden nicht persönlich, wohl aber ihre Fotos.
    Er machte
Locke und Tom auf sie aufmerksam. „Die arbeiten für Avdi Korac. Luka und Mollai
sind seine Kapos — brutale Totschläger. Sie sorgen dafür, daß keiner der
Arbeitssklaven aufmuckt.“
    „Sie
sprechen Ausländer an“, beobachtete Locke.
    „Vielleicht
betätigen sie sich als Anwerber für Illegale. Dann hätte Korac Personalmangel.
Denn wer schon hier ist, die Verhältnisse kennt und sich trotzdem anwerben
läßt, arbeitet nicht so spottbillig wie die Eingeschleusten. Das weiß keiner
besser als die Menschenhändler.“
    Gunter fand
eine Parklücke. Dort ließen sie den Wagen. Zu dritt bummelten sie zum
Balkan-Grill, einer schmuddeligen Kneipe, die im Aushang auf handgeschriebener
Speisekarte Billig-Gerichte anbot.
    Sie gingen
hinein, fanden einen freien Tisch im Hintergrund und setzten sich. Eine
unwirsche Serviererin nahm die Bestellung entgegen: zwei Portionen Tee und
einmal Kaffee.
    Luka und
Mollai standen an der Theke, umringt von zwei Dutzend Türken, die ihren
Versprechungen lauschten, nickten, wenig fragten und sich per Handschlag
verpflichteten.
    Der mit dem
Goldmaul notierte Namen. Man schied in Eintracht. Die Kapos hatten eine Runde
spendiert — Kaffee und für einige auch

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