Flammen um Mitternacht
Kartoffelsack —, hechtete er ein weiteres Stück in die Nachtluft,
um der lodernden Gefahr zu entgehen.
Ein
Blödhammel stand im Wege. Tom riß ihn mit sich wie der Herbststurm das letzte
Ahornblatt, hörte erleichtertes Quietschen und schnallte sofort, daß es Locke war,
die er da umrannte.
Und so
reagierte er sofort, umschlang sie, drehte sich im Sprung und richtete es ein,
daß er stoßdämpfend unten lag, als sie landeten. Seine Knochen knackten. Locke
blieb heil.
„Der
Kavalier im Kartoffelsack“, meinte sie — und richtete sich auf, wobei sie ihm
versehentlich ein Knie in die Leiste stemmte.
Sie half
ihm, sich vom Kartoffelsack zu befreien. Die Jeans brauchten sie nicht zu
löschen. Die rochen nur angesengt.
Im Halbkreis
standen die Türken vor dem Haus: junge Männer und Männer in mittleren Jahren.
Fassungslos blickten sie auf das Feuer. Es spiegelte sich in schwarzen Augen.
Schnurrbärte waren angekokelt, aber ernstlich verletzt hatte sich niemand. Sie
begriffen nicht, wie und warum das geschah.
In der Ferne
gellte Sirenengeheul. Polizei? Feuerwehr? Es kam näher.
Also hatten
Nachbarn Alarm gegeben. Die ersten Gaffer trafen ein.
„Es sind
tatsächlich 50“, sagte Locke, nachdem sie die Türken dreimal gezählt hatte. „50
Menschen in dieser Hütte! Das muß man gesehen haben, sonst glaubte man’s nicht.
Und bei uns in der Klasse gibt’s Neureich-Junioren, die meckern, weil sie in
Papas Villa nicht ‘ne ganze Etage für sich haben — für sich allein.“
„Das hier
ist jedenfalls kein Zustand.“
Am Rande des
Feuerscheins hielten Wagen. Gaffer näherten sich. Ein alter Kerl grinste
verzückt. Ein anderer rieb sich die Hände. Ein Dritter sah aus, als werde er
sich gleich im Schneidersitz hinhocken, um bei ,Träumereien am offenen Kamin’
Erinnerungen aus seiner Pfadfinderzeit zu beschwören.
„Aber Grillgut
hat keiner mitgebracht“, sagte Locke. „Das wäre ja auch geschmacklos.“
Tom grinste.
„Wir haben Galgenhumor, was? Bei so seiner hundsgemeinen Brandstiftung.“
Das kam ihm
zu laut über die Lippen. Ein Mann trat zu ihnen.
Es war ein
gebügelter Typ mit glattem Gesicht und Raubfischaugen. Seine Stirnglatze
spiegelte Flammen. Der Rest seiner Blondhaare, ein strohiger Kranz, glänzte
nach Öl oder Pomade.
„Sagten Sie
Brandstiftung?“ fragte er.
Tom nickte.
„Ach? Und
wieso?“
„Sind Sie
von der Kripo?“
„Nein, nur
neugierig.“ Er lächelte.
Tom
überlegte noch, als Locke ihm zuvor kam, denn, so meinte sie, warum ein
Geheimnis daraus machen?
„Wir haben
die Brandstifter gesehen. Es waren drei. Zweien geht’s jetzt an den Kragen,
denn wir kennen sie. Was den dritten betrifft, haben wir einen starken
Verdacht. Vielleicht können Sie’s übermorgen im Tagblatt lesen.“
Der
Raubfischtyp wirkte beunruhigt und wollte noch fragen. Aber — tatütata — die
Feuerwehr rauschte heran. Befehle erklangen. In wenigen Augenblicken wimmelte
es rund ums Haus von uniformierten Schlauchspezialisten und Spritzenfachleuten.
Armdicke Wasser strahle prasselten aus allen Rohren, und die ersten Flammen
sanken in sich zusammen.
„Herrje!“
fluchte ein beleibter Brandmeister. „Wo kommen die Ausländer her? Warum stehen
sie hier rum — nicht mal angezogen?!“
„Das sind
die Betroffenen, Herr Brandbekämpfer“, sagte Locke.
„Wie soll
ich das verstehen, kleines Fräulein?“
„Die Türken
sind obdachlos. Das Feuer hat ihre vier Wände vernichtet. Was übrig ist, setzen
Sie unter Wasser.“
„Wieso? Wir
löschen doch nur dieses Häuschen. Wo hat’s denn sonst noch gebrannt?“
„Nur hier.
In dem Haus wohnten die Türken.“
„Welche
denn? Ich sehe mindestens 50.“
„Es sind 50.
Und sie waren alle dort drin.“
Der
Feuerwehrmann formte seinen Mund wie die Mündung eines wasserspeienden C-Rohrs,
spie aber weder Wasser noch Gift oder Galle, sondern war nur erstaunt.
„Was denn?
Was denn? Die alle dort drin?“
„Ehrenwort.“
Er staunte
noch, als die Beamten eines Streifenwagens zu ihnen traten. Insgesamt drei
Polizeifahrzeuge waren eingetroffen.
Locke und
Tom berichteten, was sie gesehen hatten, nannten die Hintergründe, auch die
Namen Mollai und Luka und fügten hinzu, der Dritte könnte vielleicht jener
berüchtigte Avdi Korac gewesen sein.
Währenddessen
stand der Raubfischtyp in der Nähe und hatte Ohren wie Radarspiegel. Aber die
Beamten verscheuchten ihn nicht, und was die Polizei nicht für nötig hielt,
brauchte Locke und Tom nicht zu
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