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Flammenbraut

Flammenbraut

Titel: Flammenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Black
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kam – das hier sind nur die Reste. Die meiste Kleidung wird als Direkthilfe weitergegeben, zusammen mit Unterkunft und Essen – an über zweiunddreißigtausend Familien im letzten Jahr. Ich habe keine Ahnung, wo Ihre Jacke gelandet sein könnte.«
    »Ich verstehe, Vater«, erwiderte James. Doch da nahm die Matrone das Foto und sagte mit einem leichten deutschen Akzent, bei dem sich James die Härchen im Nacken aufstellten: »Ja, ich erinnere mich. Wir hatten zwei davon.«
    »Wirklich?« James konnte ihr Glück kaum fassen.
    »Gute Innennähte. Extrastiche an den Ärmelaufschlägen. Spende von Bailey’s.«
    »Das Warenhaus«, sagte James. Das Etikett hatte sie zum ursprünglichen Händler geführt. »Sie verstehen was davon.«
    »Ich war Kontrolleurin in einer Hemdblusenfabrik bis zur Finanzkrise.« Sie beäugte seine ausgefransten Ärmelaufschläge und die abgestoßenen Knöpfe.
    »Haben Sie gesehen, wer sie genommen hat?«
    Das Mädchen und die andere Frau schüttelten den Kopf, doch die Matrone erwiderte: »Ich habe einem Mann geholfen, eine von ihnen anzuprobieren. Was mit der anderen passiert ist, weiß ich nicht.«
    »Was war das für ein Mann? Wie sah er aus?«
    »Für einen Mann war er klein, gedrungen. Dunkle Haare. Die Farbe hat ihm gestanden. Er schien sich zu freuen, als ich ihm das gesagt habe.«
    James hätte am liebsten zehn Fragen auf einmal gestellt, weshalb er erst einmal tief durchatmete und sein Notizbuch hervorzog. Walter betrachtete lieber Miss Pfirsichwange.
    »Wie war sein Name?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Wann war das?«
    »Im Frühsommer, denke ich. Nachts war es noch recht kalt. Ich erinnere mich, dass ich dachte, er wäre vielleicht mit einer leichteren Jacke besser dran gewesen.«
    »Blieb er hier in der Kirche?«
    Der Priester schaltete sich ein: »Nein, wir haben keine Übernachtungsmöglichkeit. Wir helfen bisweilen Familien dabei, eine Unterkunft zu finden, aber wir können nicht Nahrung und Obdach bieten.«
    »Ma’am, hat der Mann Ihnen erzählt, wo er die Nächte verbringt? Oder auch die Tage?«
    »Ich erinnere mich nicht, nur an die Jacke, das ist alles.«
    »Hat er denn etwas über das Kleidungsstück gesagt?«, fragte James verzweifelt.
    Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ja, ich erinnere mich jetzt. Er schien mit der Jacke sehr zufrieden, wie ich gesagt habe, und hat gemeint, dass er damit vielleicht wieder eine solche Arbeit bekäme, wie er sie früher hatte.«
    James unterdrückte das Bedürfnis, ihren Arm zu packen. »Was für eine Arbeit?«
    »Oh, das weiß ich nicht. Diese armen Seelen suchen doch jeden Tag nach Arbeit.«
    Ein Mann am Tisch neben ihnen blickte wütend auf, doch die Realität erstickte die Flamme des Aufbegehrens rasch, und er sah wieder nach unten.
    »Aber was für eine Art …«
    »Mechaniker.« Offensichtlich war ein weiterer Erinnerungsbrocken aufgetaucht. Sie massierte ihr Kinn mit starken Fingern. »Das war es. Leitender Techniker – schwere Maschinen, Dampfloks, das hat er erzählt. Er nannte sie Turbinen.«
    Das musste James erst einmal verdauen. Walter riss seinen Blick von der jungen Frau los und übernahm die weiteren Routinefragen, doch die Matrone hatte nichts weiter zu berichten.
    Die beiden Polizisten bedankten sich bei dem Priester und den Frauen und gingen wieder einmal in den eiskalten Tag hinaus.
    Nachdem das Auto aufgewärmt und ihre Kiefer aufgetaut waren, sagte Walter: »Das passt irgendwie nicht. Wenn der Kerl der hakennasigen Frau da drinnen keine Lügen aufgetischt hat, dann war er ein einigermaßen angenehmer, ehemals hart arbeitender Durchschnittsbürger. Warum sollte der sich mit Abschaum wie Edward Andrassy herumtreiben?«
    »Vielleicht tat er das gar nicht. Wir haben sie zusammen gefunden, aber sie wurden getrennt voneinander getötet. Der Leichenbeschauer sagt, dass der Mann mit der Jacke eine oder zwei Wochen vor Andrassy gestorben ist.«
    »Und er war auf Arbeitssuche. Toll. Das trifft auf die Hälfte der Männer in dieser Stadt zu. Wahrscheinlich sogar auf noch mehr.«
    »Aber er war auf der Suche nach einem Mechanikerjob. Wer hätte so jemanden einstellen können?«
    Walter wartete ab, bis eine dick eingemummte vierköpfige Familie vor ihnen die Straße überquert hatte, was ihm die Zeit verschaffte, sich eine Zigarette anzuzünden. Er bot James eine Lucky Strike an, und zum ersten Mal hatte James nicht die Absicht – oder den Willen – abzulehnen. Sie rauchten kameradschaftlich, bis Walter sagte: »Garagen.

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