Flammenbraut
verpasst.«
Theresa begann, die Stufen hinaufzusteigen, stolperte beinahe in der Eile, endlich wieder Tageslicht zu sehen. »Sie waren letzte Nacht auch dort? Ich meine …«
Er blieb direkt hinter ihr und bekannte seine Anwesenheit am Tatort völlig ungerührt. »Natürlich. Es war doch offensichtlich, wo die nächste Leiche zu finden sein würde – einigermaßen offensichtlich zumindest –, und was wäre das für eine Story gewesen, hätte ich den Killer erwischt.«
Sie trat ins Erdgeschoss, Jablonski dicht hinter ihr, und atmete tief durch, hoffte auf die frische Herbstluft. Stattdessen saugte sie Staub und Erinnerungen ein. »Wo wir schon von Storys reden – was ich Ihnen über meinen Großvater und meinen Urgroßvater erzählt habe, geschah in einer informellen, persönlichen Unterhaltung. Ich hätte nicht erwartet, meine Familienverhältnisse im Mittelpunkt Ihres Artikels zu sehen.«
Er blinzelte gegen das grelle Tageslicht. Staubkörnchen tanzten zwischen ihnen in der Luft. Wenn er um einiges jünger gewesen wäre, hätte er verletzt ausgesehen. »Aber Sie wirkten so stolz auf sie. Ich dachte, Sie würden der Stadt gern von ihnen erzählen.«
Das konnte sie tatsächlich nicht abstreiten. »Stimmt. Ich meine, ich rede sehr gern über sie. Aber mein Cousin war nicht sonderlich erfreut. Ich kann das alles an mir abprallen lassen, aber er arbeitet in einem extremen Konkurrenzumfeld. Da sagt man nicht, was einem wichtig ist.«
»Klar, sonst wird er damit aufgezogen. Aber ich bin schon eine ganze Weile in diesem Geschäft, und glauben Sie mir, solange man nicht angeklagt wird, gibt es keine schlechte Publicity. Auf lange Sicht wird es für seine Karriere nur gut sein. Vertrauen Sie mir.«
Das war sicherlich nicht ganz falsch, doch sie hatte nicht viel übrig für eine solch gönnerhafte Einstellung dem Leben anderer gegenüber. Sie würde es als Lektion verbuchen müssen, die sie eigentlich längst gelernt haben sollte – Reporter waren nie inoffiziell unterwegs. Theresa ging auf die Eingangstür zu, die jetzt nur noch aus einem steinernen Türrahmen bestand.
»Außerdem bekommt die Story so eine menschliche Komponente und macht die Vergangenheit lebendig. Die Stadt hat eines ihrer faszinierendsten Kapitel vergessen, und wir müssen es ihr wieder in Erinnerung rufen.«
»Wir?«
»Sie und ich. Wir scheinen die Einzigen zu sein, die ihre Geschichte kennen.«
»Das bezweifle ich doch sehr.«
Jablonski kam ihr schon wieder zu nahe – obwohl sie in dieser Hinsicht zugegebenermaßen auch überaus empfindlich war. »Deshalb müssen Sie mit mir nach Pennsylvania fahren.«
»Wie bitte?«
»Sie wissen von der Verbindung zu New Castle, nicht wahr?«
»Die Reihe von ähnlichen Morden? Ja.«
»Nicht nur ähnlich. Einige der Leichen wurden in leeren Güterwaggons gefunden. Bei einer lagen die Zeitungen vom selben Datum im Juli, allerdings von drei Jahren zuvor, aus Cleveland und Pittsburgh.«
Er trat nach draußen ins Freie und griff dann nach ihrem Arm, um sie die wenigen Stufen hinunter zu geleiten. Theresa beobachtete einen Zug, der durchs Tal fuhr, und sagte: »Ich glaube, dass es derselbe Täter war, ja, aber das ist keine neue Theorie. Man wusste auch in den Dreißigerjahren von den ähnlichen Morden und ist dennoch nicht weitergekommen.«
»Aber jetzt wissen wir, dass der Mörder nicht nur Verbindungen zu dieser Stadt und der Eisenbahn hatte, sondern auch zu diesem Gebäude hier. Das engt den Kreis der Verdächtigen ein und verschafft uns einen Vorteil, den die Polizei 1936 nicht hatte. Wir müssen da hinfahren.«
»Ich muss vor allem an die Arbeit, Mr. Jablonski.«
» Arbeit?« Er lachte. »Er hat Männer und Frauen getötet, einen nach dem anderen, und sie im Sumpf versenkt, wo sie skelettiert wurden. Sagen Sie mir – wie lange dauert es, bis von einem Körper nur noch die Knochen übrig sind?«
»Das hängt von vielen Faktoren ab, der Temperatur, den Wasserbedingungen, Fauna und Flora«, erklärte sie auf dem Weg zu ihrem Wagen. »Vielleicht nur einen Monat, wahrscheinlich aber länger. Ein Sumpf ist für so etwas sogar besser geeignet als ein Fluss, denn das Wasser steht; die Leiche bleibt an Ort und Stelle und verwest.«
»Genau das hat dieser Kerl getan. Er hat diese Menschen nicht nur getötet, sondern ihre Identität vollkommen ausgelöscht, er hat ihnen alles genommen, was sie zu Individuen machte. Er hat sie vollkommen ausgelöscht.« Er lehnte sich an ihr Auto, als sie die Fahrertür
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