Flammenbraut
aufschloss. »Kommen Sie schon, Theresa. Schwänzen Sie mit mir die Schule.«
Er konnte so charmant sein wie Chris Cavanaugh, sogar noch hinterlistiger, doch das war es nicht, was sein Angebot für sie so verlockend machte. Der Torso-Mörder hatte derart wenig Respekt – oder so viel Hass – für seine Opfer empfunden, dass er ihnen ihre Identität zusammen mit ihrem Leben genommen hatte. Er hatte dasselbe mit James Miller getan, ihn vor der Welt versteckt, seine Familie glauben lassen, er wäre einfach abgehauen, ein Mann, der nur versucht hatte, die Welt zu einem sichereren Ort zu machen.
Doch James Miller war seit vierundsiebzig Jahren tot, und sie musste sich auf den Mann konzentrieren, der heute sterben würde, der vielleicht gerettet werden konnte, wenn sie in dem, was der Killer in der vorigen Nacht zurückgelassen hatte, nützliche Hinweise fand. »Es tut mir leid, Mr. Jablonski. Ich habe dringendere Verpflichtungen.«
»Wie Sie meinen.« Er trat zurück, damit sie die Fahrertür öffnen konnte. »Dann sehen wir uns wohl heute Nacht.«
Sie warf ihm vom Fahrersitz einen durchdringenden Blick zu. »Heute Nacht?«
»Das vierte Opfer. Der Tätowierte.« Er schlug die Fahrertür zu. »Das will ich um nichts in der Welt verpassen.«
31
Sonntag, 26. Januar 1936
Die St. Peter’s Church an der Ecke Superior Avenue und Seventeenth war ein riesiges Gebäude aus Stein und Bleiglasfenstern. Die letzte Messe war gerade zu Ende gegangen, die Gemeindemitglieder strömten durch die massiven Holztüren, ihre Sonntagskleidung nur ein unzureichender Schutz vor der klirrend kalten Luft. Die zwei Polizisten zogen ihre Mäntel enger um sich.
»Ich frage mich, wie er wohl aussehen mag«, sagte James laut und stieß dabei eine weiße Atemwolke aus.
»Klar, du und jeder andere hier in der Stadt«, knurrte sein Partner.
»Ich meine, wenn er sie tötet, was sein Gesicht da wohl für einen Ausdruck hat. Ruhig? Wahnsinnig? Ängstlich? Auf dem Schlachtfeld habe ich viele verschiedene Gesichtsausdrücke gesehen. Ich frage mich, was dieser Kerl für ein Mensch ist.«
»Ganz toll, Jimmy. Danke für die Gänsehaut.«
Es hatte sie den ganzen Vormittag gekostet, doch James und Walter hatten Flo Polillos frühere (legale) Arbeitgeber nacheinander besucht. Natürlich hatten sie in jedem Restaurant auch etwas essen müssen. Im dritten war James so satt gewesen, dass er sich seine Portion einpacken ließ, um sie Helen mitzubringen, als Wiedergutmachung, dass sie den Sonntag allein in der kühlen Wohnung verbringen musste.
Walter hatte auf den Mahlzeiten bestanden, weil es die Angestellten und die Gäste beruhigen würde, wenn sie wie normale Restaurantgänger wirkten und nicht wie Polizisten. Er hatte recht gehabt, die Angestellten gaben freigiebig Auskunft, ebenso wie die Gäste. Während die beiden Detectives ihren Kaffee tranken und ein Sandwich aßen, verbreiteten sich die furchtbaren Neuigkeiten in der Stadt und brachten die Einwohner auf, bis diese überhaupt nicht mehr aufhören wollten zu reden.
Viel erfuhren James und Walter allerdings nicht. Zuerst erklärte man ihnen überall, dass Flo Polillo eine gute Kellnerin oder Bardame gewesen sei, eine fröhliche, pummelige, hart arbeitende Frau. Nachdem sich ihr jeweiliges Gegenüber etwas entspannt hatte, wurde als Charakterisierung noch hinzugefügt, dass sie zu viel trank, was sie aggressiv und streitlustig machte. Man sah sie mal mit diesem, mal mit jenem Mann. Obwohl keine schlechte Arbeiterin, war Flo so unzuverlässig gewesen, dass man sie entlassen musste.
»Eine typische Säuferin, die Flo«, hatte der Besitzer von Mike’s in der Nähe der Central Avenue ihnen erzählt. »An einem Tag war sie total am Boden, hat gesagt, niemandem wär sie wichtig, dann könnte sie sich genauso gut auch zu Tode saufen. Dann ging sie zu St. Peter’s und war ganz beschwingt von den ganzen Gutmenschen dort, hat beschlossen, sich zu ändern. Kann ich Ihnen nicht doch noch ein Sandwich anbieten? Das beste Corned Beef in der Stadt.« Er seufzte erleichtert, als Walter das Angebot ablehnte.
Wenigstens versetzte das viele kostenlose Essen Walter in ausreichend gute Laune, um die Stufen zum Kirchenportal ohne Zögern hinaufzusteigen. Als guter Ire ging er so oft zur Messe, wie seine Frau ihn mitschleifen konnte, und das festungsartige Äußere schüchterte ihn nicht ein.
James folgte etwas weniger enthusiastisch. Seit seiner Rückkehr aus Europa hatte er keinen Fuß mehr in eine Kirche
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