Flammenbraut
einmal diese verflixte Eile? Das Gebäude steht da schon wie lange? Seit achtundsiebzig Jahren?«
»Genau – es ist nicht sicher und kann jede Minute einstürzen. Wenn Mordgroupies das Haus in einen Schrein verwandeln, wird einer von ihnen über kurz oder lang verletzt werden. Oder getötet. Außerdem bringen Schreine kein Geld. Ein großer staatlicher Zuschuss zur Förderung von Umwelttechnologie, da liegt das Geld.«
»Aha. Nun, was sonst könnte man mit einem Grundstück wie diesem anfangen, das zwischen einem Freeway und den Bahngleisen liegt?«
Leo trank seinen Kaffee, offensichtlich die einzige Ernährung, die er brauchte oder zu sich nehmen wollte. »Was ich damit sagen will, ist, schließen Sie Ihre Arbeiten dort ab, und geben Sie das Gebäude frei, wie Sie es bei jedem anderen Tatort auch machen würden.«
Theresa unterbreitete ihm ein Gegenangebot. »Könnten Sie Ihren Kumpel bei der Fakultät für Ingenieurswesen dann vielleicht überreden, den Keller mit Bodenradar abzusuchen?«
»Bodenradar? Sie vermuten, der Mörder könnte da unten weitere Leichen vergraben haben?«
»Ich finde jedenfalls, wenn dem so ist, sollten wir sie vor den Baggern aufstöbern.«
Leo dachte darüber nach. »Okay, ich rufe ihn an. Aber wenn er uns nicht bis spätestens morgen einschieben kann, dann vergessen wir die Sache.«
Theresa nickte, gähnte erneut, füllte ihre Tasse auf und ging die drei Treppenabsätze nach unten ins Amphitheater.
In dem alten Lehrraum untersuchte sie meistens Kleidung und andere Beweismittel, da es die Kontaminierung des Labors verringerte und außerdem mehr Platz bot. Das Labor mit seinen großen Fenstern war zwar heller, aber das Amphitheater war dafür besser, wenn man gar keine Beleuchtung wollte. Man hatte die kleinen Fenster im Laufe der Jahre mit blickdichten Jalousien versehen, um die Bedingungen für Diavorträge zu verbessern, und wenn Theresa es stockdunkel haben wollte, musste sie nur einen Schalter drücken.
Die meisten Menschen würden sich wohl nicht im Leichenschauhaus von undurchdringlicher Dunkelheit umgeben wiederfinden wollen. Doch Theresa arbeitete schon lange genug dort, um zu wissen, dass einen die Toten nicht belästigten.
Die Lebenden waren natürlich eine ganz andere Sache.
Die Rückseite des Hemdes des Opfers, die von der Verwesungsflüssigkeit während des Mumifizierungsprozesses komplett durchtränkt gewesen war, war stabiler als die Vorderseite. Sie hatte sich zu einer Art Panzer versteift, den Theresa jetzt unter das Infrarotlicht schob.
Sie hatte die Kleidung zuerst unter ultraviolettem Licht betrachtet, um zu überprüfen, ob fremde Fasern aufleuchteten oder Fehler im Stoff – Löcher etwa – zu erkennen waren. Dann hatte sie zur Infrarotlampe gewechselt, die nur das Material unter Blut und Verwesungsflüssigkeit sichtbar machte. Nichts Interessantes zu sehen. Theresa widmete sich der Hose. Was sie dort sah, überraschte sie.
Rasch ging sie nach nebenan in die Fotoabteilung und holte Zoe. »Ich brauche Fotos, und zwar noch während ich daran arbeite. Das Material ist so porös, ich habe Angst, ein Loch hineinzureißen, wenn ich es nur berühre.«
Die Fotografin seufzte tief, dann ging sie mehrere Male zwischen den beiden Räumen hin und her, baute zwei Lampen auf, ein Stativ für die Kamera, den Rotfilter und die Fernbedienung für den Auslöseknopf und seufzte erneut. Infrarotfotos mussten im Dunkeln mit offener Blende gemacht werden, weshalb das Objekt – die Hose – absolut still liegen musste. Das war einfach, aber die Kamera musste ebenfalls absolut still stehen. Außerdem musste die Kamera scharf gestellt werden, bevor der Rotfilter die Sicht verdeckte; die Kunst bestand zudem darin, ihn an der Linse anzubringen, ohne das ganze Arrangement zu beschädigen. »Was willst du denn sichtbar machen?«
»Ablagerungen«, erklärte Theresa. »Unter seinem Hosenbund befindet sich ein winziges Loch, von dem ich zuerst dachte, dass es von einer abgerissenen Gürtelschlaufe herrührt, aber dann habe ich etwas entdeckt, was vielleicht Schmauchspuren sein könnten. Möglicherweise hat der Mörder ihn aus nächster Nähe erschossen, von schräg unten, sodass die Kugel nach oben in die inneren Organe eingedrungen ist; das würde erklären, warum der Anthropologe keine Spuren an den Knochen gefunden hat. Wenn wir damit fertig sind, werde ich einen Griess-Test machen, der wahrscheinlich das, was von dieser Hose übrig ist, erledigen wird.« Entgegen jeder
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