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Flammenbraut

Flammenbraut

Titel: Flammenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Black
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Lesebrille aufgesetzt hatte, drehte er die Fotos eins nach dem anderen um, vorsichtig, aber methodisch. »Das hier ist von meiner Taufe, das müssen Sie nicht sehen … das waren unsere Nachbarn, sie sind umgezogen … meine Wohnung in England, ich bedauere immer noch, dass ich sie verkauft habe … meine Abschlussfeier … ah, hier ist eins. Es zeigt allerdings das Gebäude nur von außen.«
    Theresa blickte auf die Schwarz-Weiß-Aufnahme, auf der auch nach all den Jahren immer noch alles deutlich zu erkennen war. »Welcher ist Ihr Vater?«
    Corliss tippte mit einem hageren Finger auf den Mann in der Mitte, der eine zerknitterte Hose trug und ein weißes Hemd mit Krawatte. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Sohn, vor allem was die tief liegenden Augen betraf, doch er schien größer zu sein. Sein Jackett trug er lässig über der Schulter, den runden Hut hatte er aus der Stirn geschoben. Er stand vor demselben Eingang, durch den Theresa am Morgen zuvor auch gegangen war; seine Kleidung und sein Schatten hinter ihm deuteten darauf hin, dass das Bild im Sommer aufgenommen worden war, da die Sonne weiter nördlich stand.
    »Wer sind die anderen?«, fragte Frank.
    Zu Arthurs Rechten sah man einen ähnlich gekleideten mageren Mann und eine junge Frau in einem langen schwarzen Rock und vielen Chiffon-Schals. Sie hatte welliges dunkles Haar und lächelte. Der Mann blickte ernst. Auf der anderen Seite von Corliss standen zwei junge Männer, die sich anzurempeln schienen und die daher nur unscharf zu erkennen waren. Schräg hinter ihnen saß ein Mann mit unordentlicher Kleidung und einem niedergeschlagenen Gesichtsausdruck.
    Edward Corliss erklärte: »Ich kann es nur vermuten, verstehen Sie, aber eigentlich bin ich mir sicher, dass mir mein Vater einmal sagte, diese beiden jungen Männer seien die Architekten gewesen. Und dieser Mann hier – auch wenn ich es nicht genau weiß – könnte der Arzt sein.«
    »Der Ernährungsberater?«, vergewisserte sich Theresa.
    »Der Diätist, ja.«
    »Wer ist die Frau? Ist das Ihre Mutter?«
    »Nein.« Edward Corliss hielt das Foto dichter vor die Augen und dann wieder weiter weg, als ob das seiner Erinnerung auf die Sprünge helfen könnte. »Ich habe keine Ahnung. Das könnte das Medium sein. Vater hat sie immer als jemanden beschrieben, der sich ausgefallen anzog.«
    »Was ist mit dem Mann im Hintergrund?«
    Corliss zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Das hätte irgendwer sein können, jemand, der für die anderen Mieter gearbeitet hat, ein Passant. Er hätte auch ein Herumtreiber sein können, ein Landstreicher. Mein Vater hat diesen Leuten während der Depression immer geholfen, ihnen eine Mahlzeit gegeben, sie eine Nacht oder zwei im Gebäude schlafen lassen, wenn ein Büro gerade leer stand. Ich sagte ja, er hatte ein weiches Herz, und in diesen Jahren gab es viele Männer, die Hilfe brauchen konnten.«
    »Wann wurde das Foto aufgenommen?«, fragte Theresa.
    Corliss drehte es herum und zeigte ihnen das auf die Rückseite gedruckte Datum: 5. Mai 1936. »Der Mann könnte auch ein Eisenbahnbote oder ein Bote von einem der anderen Unternehmen gewesen sein, oder er könnte die Nacht auf der Vorderveranda verbracht haben und war noch nicht verschwunden, als das Bild aufgenommen wurde. Wie gesagt, damals war das ja leider üblich, dass arme Teufel auf dem Gehweg schliefen. Manchmal denke ich, dass sich gar nicht so viel geändert hat seither.«
    Als Jablonski das Wort ergriff, zuckte Theresa erschrocken zusammen. Er stand auf einmal genau hinter ihr. »Wer hat das Foto geschossen?«
    Die vier Anwesenden betrachteten das Bild mit neu erwachtem Interesse.
    »Ihre Mutter?«, schlug Theresa vor.
    »Nein, meine Eltern haben sich erst nach dem Krieg kennengelernt. Ich weiß es wirklich nicht. Ein Freund vielleicht oder ein anderer Mieter.«
    »Hat Ihr Vater je erwähnt, dass jemand aus dem Gebäude verschwunden ist? Ein Mieter? Ein Kunde? Selbst ein Landstreicher?«, erkundigte sich Frank.
    Corliss dachte über die Frage nach und schüttelte schließlich den Kopf. »Ich bin mir sicher, dass ich mich an so etwas erinnern würde.«
    »Hat er je einen James Miller erwähnt?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Sie haben also keine Ahnung, wer dieser Tote, den wir gefunden haben, sein könnte?«
    »Seit Sie heute Morgen angerufen haben, habe ich an nichts anderes mehr gedacht. Nein. Ich habe keine Ahnung.« Plötzlich flatterten seine Augenlider. »Sie denken doch sicher nicht, dass

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