Flammenbraut
doch hatte dieser Tod schließlich auch nichts mit Flugzeugen zu tun.
Wenn die Clevelander von einem »Seeufer-Flughafen« sprachen, dann meinten sie das auch so. Entfernte man sich etwa vierzig Meter von der Landebahn, stand man am Wasser. Das Ufer war von aufgehäuften Steinen gesäumt, damit die Rasenstreifen, die als Begrenzung dienten, nicht weggespült wurden. Doch die Officer der Hafenbehörde, die an diesem Labor Day patrouillierten, brauchten sich keine Sorgen wegen der Natur zu machen. Sie hatten sich ausschließlich um menschliche Gegner zu kümmern. Cleveland besaß nicht viele potenzielle Ziele für Terroristen (sehr zur Erleichterung der Bevölkerung), doch die Flugschau mit ihrer starken Militärpräsenz zählte zweifelsohne dazu.
Aus diesem Grund war der Officer der Hafenbehörde auch zu Fuß unterwegs, als er die Leiche des Mädchens entdeckte. Oder besser gesagt, einen Teil davon. Er starrte lange auf das Ding vor seinen Füßen, das eigentlich so klar erkennbar und gleichzeitig doch so schwer zu begreifen war. Dann nahm der Officer sein Funkgerät zur Hand, benachrichtigte seinen Vorgesetzten und sprach ein stilles Dankesgebet, dass die aufgehäuften Steine bis zum Wasser hinunterreichten und deshalb die Leiche – oder besser gesagt, das Leichenteil – außer Sichtweite der Tribünen lag. Hunderttausend Zuschauer saßen auf der anderen Seite der Rollbahn, und mindestens die Hälfte davon war mit Ferngläsern ausgestattet.
Theresa hatte die Show in den (fast) vierzig Jahren ihres Lebens bisher genau zwei Mal besucht. Sie fragte sich, ob das hier als Besuch Nummer drei zählte, auch wenn sie die Show nur am Rande sah, während sie jetzt über eine kleine Zubringerstraße zwischen Rollbahn und Wasser zum Fundort fuhren.
Ein Streifenwagen ohne Blaulicht und Sirene fuhr ihnen voraus – die Organisatoren der Flugschau wollten, dass die Zuschauer zumindest ein geordnetes Drama zu sehen bekamen. Theresa hielt allerdings nicht viel davon, sich allzu sehr zu verstecken, zumal sie direkt neben einer Landebahn unterwegs waren, und sie sah sich beim Fahren nervös in alle Richtungen um. Hatte man die Piloten benachrichtigt, dass sie erwartet wurden? Über ihnen befanden sich Doppeldecker, Kampfjets und ein Riesending, das irgendein militärisches Transportflugzeug sein musste. Was, wenn eines von ihnen sie übersah und auf ihr landete?
Der Streifenwagen bog von der Straße ab und parkte auf dem Grünstreifen neben der Ufermauer.
Lärm umgab Theresa, als sie aus dem Auto stieg. Ohrenbetäubender, durchdringender Lärm, der sich im Kopf festsetzte, den Geruch nach Benzin und totem Fisch und das aufgeregte Brummen der Zuschauer verdrängte. Theresa vergaß die Leiche, wegen der sie gekommen war, vergaß ihre Kamera und ihre Ausrüstung, vergaß beinahe ihren eigenen Namen und starrte nur auf den Jet, der zwischen ihr und den Tribünen stand. Die Menschen in den Sitzreihen wirkten wie flirrende Farbpunkte in den Hitzewellen, die die Triebwerke ausstrahlten.
Plötzlich stand Frank neben ihr. »Los, komm.«
»Was ist das da?«
»Eine Harrier. Sie schwebt in der Luft. Komm schon.«
Er half ihr, die Werkzeugkiste mit den großen Plastikmarkierungen zu tragen, die von eins bis dreißig durchnummeriert waren. Mit ihnen würde Theresa kleine Beweisstücke am Tatort fotografieren. Sie nahm auch ihre Kameratasche mit, ihre Zeichenutensilien und eine Kunststoffkiste voller Papiertüten, Beweismittelaufkleber und ein Maßband. Damit ließen sich die meisten ihrer Aufgaben bewältigen. Bei einer Schießerei hätte sie noch das Laserkit zur Flugbahnberechnung und vielleicht auch den Metalldetektor für Patronenhülsen mitnehmen müssen. Wenn es zu sexuellen Übergriffen gekommen wäre, hätte sie die batteriebetriebene alternative Lichtquelle benötigt, um Sperma im ultravioletten Licht sichtbar zu machen. Wenn die Leiche begraben gewesen wäre, hätte sie Schaufeln holen müssen sowie Siebe, um die Erde zu durchsuchen. Deshalb hatte Frank Theresa zu ihrem Büro zurückgefahren, damit sie den alten Kombi mit ihrer kompletten Ausrüstung holen konnte. Zumindest waren sie so den überaus hartnäckigen Mr. Jablonski losgeworden.
Ein weiterer Officer in einer Uniform, die Theresa nicht kannte, wartete am Wasser zusammen mit Franks Partnerin, Angela Sanchez. Die beiden blickten den Neuankömmlingen ernst entgegen. Frank hatte Theresa nur erzählt, dass in der Nähe der Flugschau eine Leiche gefunden worden war. Da sie
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