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Flammenbraut

Flammenbraut

Titel: Flammenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Black
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Mikrowelle frisches Wasser erhitzt hatte und zwei schwerhörige Freunde ihre lautstarke Konversation auf dem Gang nicht länger vor Irenes Zimmer führten, »kam ich mit einem Mann ins Gespräch, der auf einer Bank bei den Pennsylvania-Gleisen saß. Er schien auf den Zug zu warten, auch wenn ich mir keine Gedanken darüber machte, was er bei den Güterzügen wollte. Wie auch immer, ich hoffte, von ihm eine Zigarette schnorren zu können oder noch besser, etwas Süßes – damals gaben die Menschen Kindern oft Süßigkeiten, und wegen solcher Kerle ist die Sache wohl so in Misskredit geraten –, und habe schließlich ein oder zwei Andeutungen fallen lassen. Dann sagte er, ich solle die Finger von Süßigkeiten lassen, weil dadurch zu viel Zucker in meinen Blutkreislauf gelange, und aufgrund der gelblichen Färbung meiner Haut könne er sagen, dass ich eine leichte Gelbsucht hätte. Nun, bei meiner Geburt hatte ich auch tatsächlich Gelbsucht gehabt, das hatte meine Mutter mir oft genug erzählt. Zwei meiner drei Kinder hatten es ebenfalls – inzwischen weiß ich, wie verbreitet die Krankheit ist, aber damals dachte ich, dass es etwas Schlimmes wäre, etwas, an dem ich sterben oder das mich zumindest davon abhalten könnte, vor dem Tod die Welt zu sehen. Er hat dann von meiner Leberfunktion geredet und viele Worte gesagt, die ich nicht verstanden habe – zum Teufel, ich war damals erst fünfzehn und nicht gerade regelmäßig zur Schule gegangen. Er sagte mir also, er könne mir erklären, was ich essen sollte und was nicht und welche Vitamine mir hälfen, um gesund zu bleiben. Aber dafür müsste ich mit in sein Büro kommen. Ich stand also auf und folgte ihm.« Irene schüttelte ungläubig den Kopf, was die Spitzen ihrer Haare zum Schwingen brachte.
    »Und das war 1936?«
    »10. April 1935. Ich bin jetzt einundneunzig.«
    Theresa wollte fast schon »Glückwunsch« sagen, hielt sich jedoch zurück. »Erinnern Sie sich an die Adresse seines Büros?«
    »4950 Pullman.« Irene warf ihr über den Rand der Teetasse einen scharfen Blick zu. »Weshalb hätte ich Sie sonst anrufen sollen?«
    Theresa kam sich dumm vor. »Und Sie sind zu Fuß von der West Third dorthin gegangen?«
    »Klar. Ich hatte Zeit, und es war ein sonniger Tag. Damals sind wir überallhin zu Fuß gegangen. Nur die reichen Leute oder Geschäftsinhaber besaßen Autos. Deshalb waren die Menschen im Land auch nicht so fettleibig wie heute.«
    »Da ist was dran.«
    »Ich habe mich nie gefragt, warum er sich eigentlich am Bahnhof aufhielt, wenn er doch auf keinen Zug wartete.«
    Theresa rief sich die Informationen aus dem Stadtadressbuch in Erinnerung und fragte vorsichtig: »Erinnern Sie sich an den Namen des Mannes?«
    »Den werde ich nie vergessen. Louis. Dr. Louis nannte er sich.«
    »Und welches war sein Büro in dem Gebäude?«
    »Ich weiß nicht, ob es eine Nummer hatte. Wenn man zur Vordertür hereinkam, von der Pullman aus, dann ging man einen Flur entlang und rechts in das erste Büro.«
    »Erinnern Sie sich an andere Details aus dem Gebäude?«
    »Ich habe Geräusche gehört. Ich glaube, ich sah eine offene Tür auf dem Flur, und ich habe gehört, wie sich Menschen im oberen Stock bewegten. Daher dachte ich, dass die anderen Büros belegt waren, aber ich habe niemanden gesehen.«
    »Wie sah sein Büro aus?«
    Irene zuckte mit den Schultern. »Irgendwie nackt. Er hatte einen Schreibtisch und diverse Regale voller Bücher und Gläser.«
    »Gläser?«
    »In denen Dinge in einer Flüssigkeit schwammen. Ich wollte sie nicht ansehen. Die Medizin hat sich im Laufe der Jahre ganz schön verändert. Damals gingen die Menschen nicht wegen jedem kleinen Wehwehchen zum Arzt – und man wollte es auch nicht. Krankenhäuser wirkten oft furchteinflößender als Gefängnisse.«
    »Sie begannen sich also unwohl zu fühlen bei diesem Dr. Louis?« Fünfundsiebzig Jahre später krallten sich die knochigen Finger immer noch ineinander.
    »Ich fragte, ob es wehtun würde, was er verneinte – können Sie das glauben? Der Bastard hat gesagt, nein, er wollte nur einen Fragebogen über meine Ernährungsgewohnheiten ausfüllen. Er ließ sich an seinem Schreibtisch nieder und holte ein paar Unterlagen hervor, und ich setzte mich auf einen Stuhl. Er fragte, ob ich Haferbrei äße, Kirschen, ob ich Aspirin nähme, und machte sich dazu Notizen. Es dauerte ewig. Ich erinnere mich, dass mir langweilig wurde, bis er mir eine Flasche Limo aus einer kleinen Kühlbox gab. Gingerale.

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