Flammenbraut
Das Leben war schön. Das Leben war so, wie es sein sollte.
Und es verschaffte ihr einen Grund, ihre Tochter zurückzurufen und sich zu entschuldigen, dass sie den Anruf nicht persönlich hatte entgegennehmen können.
Keiner da. Sie hinterließ eine Nachricht.
Theresa wusch sich das Gesicht, zog sich um, dachte einen flüchtigen Moment lang darüber nach, sich etwas zu essen zu kochen, und ging dann in Rachaels Zimmer, wie sie es mindestens einmal am Tag tat. Nur um zu überprüfen, ob die Katze nicht auf dem Bett schlief oder der Hund sich mit einem der Stofftiere aus dem Staub gemacht hatte. Was die beiden natürlich nicht getan hatten, weil Theresa die Tür geschlossen hielt. Doch sie sah dennoch nach. Das Zimmer war unverändert ordentlich, was ihr unmissverständlich sagte, dass ihre Tochter ausgezogen war, noch mehr als die Stille oder der ungeplünderte Kühlschrank oder die TV -Fernbedienung, die nicht mehr spurlos verschwand.
Rachaels Fenster ging zur Straße hinaus. Ein Auto fuhr langsam vorbei, mit nur einem Scheinwerfer.
Theresa schloss Rachaels Zimmertür sorgfältig hinter sich. Dann ging sie durch den zunehmenden Regen zum Nachbarhaus, wo sie ihre Mutter fragte, ob ihr Urgroßvater je die Torso-Morde erwähnt hatte.
Agnes saß an ihrem Küchentisch und sortierte so eifrig Rezepte, dass ihre grauen Locken tanzten. »Ich glaube nicht. Was denkst du – sind Apfel-Blätterteigtaschen besser mit Käse oder mit einer Honigglasur?«
»Ich finde, mit Vanilleeis sind sie am besten. Was ist mit Grandpa Jo?«
»Er mochte die Honigglasur.«
»Die Torso-Morde, Mom …«
»Ah, das. Ich kann mich nicht erinnern, das war vor seiner Zeit.«
»Aber Urgroßvater hat doch bei Boys’ Town gearbeitet, nachdem Eliot Ness es gegründet hatte.«
Ihre Mutter blickte von den fleckigen Blättern auf. »Oh ja. Joe hat das ab und zu erwähnt. Meistens, wenn ihr zwei Wiederholungen von dieser Serie, Die Unbestechlichen, angeschaut habt, die mit Robert Stack. Er hätte euch das nicht ansehen lassen dürfen.«
»Dann würde ich heute nicht als Leichenfledderer arbeiten, ich weiß.« Theresa versuchte gar nicht erst zu erklären, dass sie nie etwas anderes interessiert hatte. Wenn jemand das seltsam fand, dann war ihr das herzlich egal, solange es in den Augen des Mannes, den sie mehr als alle anderen verehrte, normal und gut war.
»Schatz, ich halte dich doch nicht für eine Leichenfledderin. Mir gefällt nur überhaupt nicht, dass du mit diesen schrecklichen Menschen zu tun hast.«
Sie meinte »Mörder«. »Die sind schon lange weg, wenn ich an einem Tatort eintreffe.« Heute war eine Ausnahme gewesen.
Ihre Mutter hob nur eine Augenbraue. Diverse Ereignisse in Theresas Vergangenheit zeugten vom Gegenteil.
Theresa ignorierte diese Erinnerungen und sagte nichts über Kim Hammond oder die zwei Männer auf dem Hügel. Dem Himmel sei Dank schaute ihre Mutter nie Nachrichten, und wenn das Glück auf Theresas Seite war, dann würde sie im Restaurant auch zu beschäftigt sein, um Zeitung zu lesen.
Der Schrecken der Torso-Morde war mit der Zeit allerdings verblasst und konnte daher angesprochen werden. »Was hat Grandpa gesagt?«
Agnes dachte über die Antwort nach. »Er hat gesagt, dass dein Urgroßvater Gabriel immer fand, Ness würde an den falschen Orten suchen. Er meinte immer, Gangster wären nicht das Problem, weil man immer wusste, wo sie zu finden waren. Ness hatte keine Ahnung von Psychopathen, aber wer hatte das damals schon.«
Theresa ließ ihre Mutter eine Weile weiter ihre Rezepte sortieren, während sie über diesen Punkt nachdachte. In den Dreißigerjahren hatte noch niemand je etwas von einem Serienmörder gehört. Man hätte die Ermittlung wie jede andere geführt – die üblichen Verdächtigen befragt, Kriminelle, Leute, die man sexuell als abartig bezeichnete. Natürlich umfasste das damals einiges mehr als heute, da Homosexualität noch als Verbrechen galt ebenso wie eine gemischtrassige Beziehung. »Damals suchte man nach einem Mann, der irgendwie auffällig war. Von unserem jetzigen Wissensstand über Serienmörder aus gesehen, würden wir nach einem Mann mit fester Arbeit suchen, der zurückgezogen lebt und der keine oder nur unerhebliche Vorstrafen hat. Jemand, der eben nicht auffällt.«
»Wie erwischt man so einen dann?«, fragte ihre Mutter.
Das brachte Theresa kurz aus der Fassung. »Spuren, schätze ich mal. Da komme ich dann ins Spiel.«
»Dein Urgroßvater Gabriel hat deinem Großvater
Weitere Kostenlose Bücher