Flammenbraut
dicke Cop bestimmt nicht«, sagte Irene, den Mund zu einer strengen Linie zusammengepresst. »Der dünne, der glaubte mir anscheinend. Aber er konnte nichts tun.«
»Welcher Cop?«
»Der, dessen Leiche Sie gefunden haben. James Miller.«
19
Mittwoch, 8. September
Benommen fuhr Theresa nach Hause. So viele Informationen, so viele Jahre. James Miller war 1936 in demselben Gebäude getötet worden, in dem Irene Schaffer beinahe missbraucht wurde – von einem Arzt mit wahrscheinlich ausreichend anatomischen Kenntnissen, um einen Körper zu zerteilen. War James noch einmal dorthin gegangen, um den Arzt wegen Irene zur Rede zu stellen, über ein Jahr später? Warum? Hatte James in der Zwischenzeit Beweise gefunden? War er da über den Torso-Mörder gestolpert?
Oder hatte der Arzt James getötet, um seine Verhaftung wegen der sexuellen Belästigung abzuwenden, und beide Vorfälle hatten mit den Torso-Morden gar nichts zu tun? Immerhin lud der Serienmörder seine Opfer normalerweise irgendwo ab und bewahrte sie nicht für die Nachwelt auf.
Und er hatte zwei der Opfer beinahe auf der Türschwelle des Pullman-Gebäudes abgeladen. Fünfundsiebzig Jahre später tat es ihm jemand nach. Warum? Wie?
Es hatte erneut zu regnen begonnen, und Theresa bremste, um die scharfe Kurve von der 480 auf die I-71 nach Süden zu durchfahren. Das Auto hinter ihr klebte ihr mit einem Abstand von zehn Zentimetern an der Stoßstange. Ein Scheinwerfer fehlte, und es zwinkerte ihr im Rückspiegel zu, während der Regen noch stärker ihre Windschutzscheibe hinabströmte, als sie Gas gab.
Wie sich aus seinen Aufzeichnungen schließen ließ, hatte James Miller in den Torso-Morden ermittelt. Vielleicht hatte er Irene schon völlig vergessen gehabt und war dann aus reinem Zufall in dem Gebäude eingemauert worden.
Doch James hatte dem Mädchen geglaubt, in einer Welt, in der niemand sonst es tat.
Apropos junge Mädchen, jetzt mussten sie sich um Kim Hammond kümmern. Im Gegensatz zu Dr. Louis und dem Torso-Mörder lief der Wahnsinnige, der Kim geköpft hatte, immer noch frei herum, und wie der Torso-Mörder würde er sicher nicht aufhören mit dem Morden. Und wer waren diese beiden männlichen Leichen? War ihm klar, dass er zwar eine Mordserie aus dem Jahr 1935 nachahmte, Theresa aber mit modernen Ermittlungsmethoden arbeiten würde? Seit damals hatte die Wissenschaft große Fortschritte gemacht, und Theresa würde sie alle ausnutzen.
Damals hatte dem Mörder sehr geholfen, dass er anonym geblieben war, dass man die Opfer nicht hatte identifizieren können. Es musste sich um Herumtreiber gehandelt haben, unsichtbare Menschen, die in Zügen durchs Land fuhren und nach Arbeit suchten. Heutzutage lebten nur noch sehr, sehr wenige Menschen so; und selbst die moderne Version dieser Leute, die Obdachlosen, war nicht so mobil und nicht so unsichtbar wie damals.
Bei ihrem Haus angelangt, fuhr sie das Auto in die Garage, ließ jedoch die Tür offen. Sie wollte später noch zu ihrer Mutter nach nebenan gehen und ihr eine gute Nacht wünschen.
Rachael hatte angerufen; das Blinken des Anrufbeantworters empfing Theresa, als sie das Haus betrat. Es musste Rachael gewesen sein – niemand sonst rief sie an außer Frank, der allerdings eher das Handy benutzte. Theresa legte ihre Handtasche auf den Tisch und drückte den Knopf an dem Gerät.
Vielleicht ist sie es auch nicht, wappnete sie sich, während das Band zurückspulte. Man wird nur einen Wählton von einem computergesteuerten Werbeanruf hören, oder die Bücherei hat angerufen wegen eines vorbestellten Buches. Oder vielleicht war es auch Chris Cavanaugh.
»Hi, Mom, ich bin’s. Wollte dir nur sagen, dass alles in Ordnung ist. Wir hören uns, tschüs.«
Rachael. Warum hatte sie nicht auf dem Handy angerufen? Sie wusste doch, dass Theresa meist nicht daheim war, sondern bei der Arbeit oder unterwegs und man sie auf dem Mobiltelefon erreichte. Stattdessen hatte Rachael angerufen, als sie wusste, dass Theresa nicht zu Hause sein würde, um zwanzig Minuten Unterhaltung mit ihrer Mutter zu umgehen. Aber nun gut. Ihre Tochter klang gesund und war zumindest heute Nachmittag noch am Leben gewesen, das war das Wichtigste.
Theresa überprüfte die Anruferkennung: 18:00 Uhr. Da wäre sie normalerweise tatsächlich zu Hause gewesen, wenn sie nicht so viel Zeit in dem Keller in der Pullman Street, mit zwei Leichen und bei Irene Schaffer vertrödelt hätte.
Okay. Rachael hatte freiwillig ihre Mutter angerufen.
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