Flammenbraut
noch etwas erzählt. Er hat gesagt, es müsste etwas mit den Eisenbahnen zu tun haben.«
»Weil die Opfer bei den Schienen gefunden wurden?«
»Ich weiß nicht, warum er das erwähnt hat. Du solltest ins Bett gehen, Schatz, du siehst müde aus.«
»Willst du denn noch Blätterteigtaschen machen?«
Ihre Mutter lächelte. »Heute nicht mehr. Am Wochenende im Restaurant. Komm zum Abendessen dorthin, da kannst du dir für 2,49 eine kaufen.«
»Das sind ja Wucherpreise.« Theresa stand auf und verabschiedete sich.
»Und vergiss Freitag nicht.«
»Ach, Mom !«
»Geburtstage werden immer mit der Familie gefeiert. Vor allem ein so großer wie dieser.«
Ein kleines Haus, vollgestopft mit Tanten und Cousinen. Theresa liebte sie alle, aber nicht, wenn sie versuchten, sie zu überzeugen, dass der unwiederbringliche Verlust ihrer Jugend ein Grund zum Feiern war. »Warum sollte ich es feiern , dass ich vierzig werde?«
»Man soll jeden Geburtstag feiern«, erwiderte ihre Mutter in einem Ton, bei dem Theresa sich gleich undankbar fühlte, was natürlich auch die Absicht gewesen war. Mütter konnten das gut.
Theresa verabschiedete sich endgültig und ging nach Hause durch den Regen, der mittlerweile zu einem dichten Nebel geworden war. Die Bäume flüsterten über ihr und ließen einige kalte Tropfen in ihren Nacken fallen, während sie sich vornahm, in Zukunft das Licht brennen zu lassen, jetzt da Rachael nicht mehr vor ihr zu Hause war und eine Festbeleuchtung einschaltete, den Fernseher laufen ließ und mithilfe der Stereoanlage die Wände zum Erzittern brachte. Doch Harry, der Hund ihres toten Verlobten, hielt schwanzwedelnd Wache, um sie wissen zu lassen, dass das Gelände gesichert war, weshalb Licht eigentlich doch nicht so wichtig war.
Ein Laster mit dem Namen einer Dachdeckerfirma auf der Seite fuhr vorbei. Keine weiteren Fahrzeuge waren zu sehen, ob mit oder ohne fehlendem Scheinwerfer.
Theresa verzog sich mit James Millers Notizen und einer Visitenkarte ins Bett. Sie wählte, bevor sie einen Blick auf die Uhr warf, und überlegte dann, ob sie wieder auflegen sollte. Da wurde am anderen Ende der Leitung abgenommen. »Mr. Corliss? Hier spricht Theresa MacLean. Bitte entschuldigen Sie, dass ich so spät anrufe.«
»Keine Sorge, junge Dame. Ich bin eine Nachteule. Womit kann ich Ihnen helfen?«
Kleiner Tipp für Frauen ab einem gewissen Alter, dachte Theresa: Gebt euch mit Menschen ab, die mindestens zwanzig Jahre älter sind, und prompt fühlt man sich wieder jung. »Ich bräuchte ein paar Informationen über Züge.«
»Dann sind Sie bei mir genau richtig«, kicherte er.
20
Dienstag, 24. September 1935
James Miller blieb nur so lange, bis er eine Tasse Kaffee getrunken hatte, dann überließ er seinen Partner Walter der liebevollen Fürsorge einer Kellnerin mittleren Alters und stürzte sich in die Hektik des Terminal Tower. Sein Magen knurrte, und er versuchte sich einzureden, dass er zu sehr an den Ermittlungen interessiert war, um zu essen, was allerdings nicht funktionierte.
James hastete weiter. Auf den zwei Stockwerken mit Geschäften befanden sich nicht weniger als drei Drugstores. Alle drei waren gut besucht, doch um zwei Uhr nachmittags musste er sich wenigstens nicht mit denselben Massen wie in der Mittagspause oder nach Feierabend herumschlagen. Er steuerte auf einen Laden im unteren Stockwerk zu und bewunderte den Einfallsreichtum desjenigen, der auf die Idee gekommen war, Geschäfte direkt auf der Route der Reisenden einzurichten. Menschen, die auf ihre Züge warteten und Zeit totschlagen mussten, sowie Pendler, die vom Bahnhof zum Büro eilten und auf dem Weg noch etwas einkaufen wollten, bekamen hier das perfekte Angebot, ihr hart verdientes Geld loszuwerden. Im Inneren dieses Konsumtempels merkte man kaum etwas von der Depression. Selbst mit leerem Magen fühlte man sich wohlhabend, wenn man auf den glänzenden Marmorwegen entlangging.
An den Kassen des Drugstores drängten sich Kinder auf dem Heimweg von der Schule. James fragte sich, woher sie das Geld für Süßigkeiten hatten, wenn auf den Straßen erwachsene Männer betteln mussten. Er nahm es ihnen nicht übel – im Gegenteil, es war ein Zeichen der Hoffnung, dass wenigstens einige der Nachkommen dieser Nation eine glückliche Kindheit hatten.
James wartete darauf, mit dem Drogisten sprechen zu können, während eine korpulente Dame mit einem kleinen Hund ihre nächtlichen Schlafprobleme schilderte. James wollte ihr schon
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