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Flammenbraut

Flammenbraut

Titel: Flammenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Black
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beiden Gestalten an den Schienen, denn er ließ das Horn ertönen oder wie auch immer man das nannte. Theresa hatte jedenfalls in ihrem Leben noch kein lauteres Geräusch gehört, und ihre Haut prickelte. Ihre Muskeln schmerzten vor Anspannung. Sie hätte nie gedacht, dass ein einfaches lautes Geräusch solche Auswirkungen auf sie haben könnte. Die Waggons ratterten an ihnen vorbei, verdrängten und sogen gleichzeitig die Luft an, sodass Theresa ins Wanken geriet.
    Edward Corliss packte sie behutsam, aber fest am Oberarm.
    Als der Zug die Fahrt verlangsamte und der Lärm allmählich verklang, fragte sie: »Und früher sind die Menschen auf diese Züge aufgesprungen?«
    »Wie auf ein Rollband am Flughafen«, erwiderte er. »Wenn man in die nächste Stadt wollte und keine Mitfahrgelegenheit fand oder das Geld für den Bus nicht aufbringen konnte, dann stellten die Züge die einzige Transportmöglichkeit dar. Und als die Depression immer härter zuschlug, hatten die Hobos, die durchs Land zogen, weder Freunde noch Geld. Mein Vater hat erzählt, einmal hat er elf Männer in einem Zug aufgestöbert.«
    »Es ist schwer vorstellbar, was die Depression diesem Land angetan hat.«
    »Ja. Obwohl«, fuhr Corliss fort, als ob sie das aufmuntern könnte, »man schon vor der Depression die Güterzüge benutzte. Nach Ende des Bürgerkrieges war es unter Soldaten ein beliebtes Transportmittel.«
    »Die Army hat ihnen nicht die Heimfahrt organisiert?«
    »Nein. Nach Kriegsende waren sie auf sich allein gestellt, und die Züge waren nun mal die schnellste Reisemöglichkeit.«
    Theresa dachte darüber nach, während sie vorsichtig über den Schotter lief. »Es muss kalt gewesen sein im Winter.«
    »Man hat nach Waggons Ausschau gehalten, die Dinge beförderten, hinter denen man Schutz suchen konnte – Heuballen, Vieh, Postsäcke. Man hat alles verwendet, was man finden konnte, zündete sogar manchmal aus Verzweiflung ein Feuer an. Deshalb waren die Eisenbahngesellschaften auch so hinter diesen Leuten her, damit die Lieferungen nicht beschädigt wurden.«
    Die Waggons neben ihnen setzten sich nun langsam wieder in Bewegung.
    »So einen wie den hier hat man einen ›Easy Rider‹ genannt«, fuhr Corliss fort. »Ein langsamer Zug, auf den man leicht aufspringen konnte. Natürlich nicht hier beim Betriebshof in Sichtweite des Bahnhofs, sondern irgendwo auf freier Strecke außerhalb der Stadt, in einer Kurve oder an einer Kreuzung, wo der Zug langsamer fahren musste.«
    Theresa betrachtete die Waggons, die in gedeckten Farben gestrichen und deren Oberflächen mit Schmutz, Kratzern und Rost bedeckt waren. Als sie Corliss einen Blick zuwarf, lächelte er ihr zu, und ein verschmitztes Grinsen umspielte seine Lippen. »Wollen Sie es mal versuchen?«
    »Nein«, sagte sie. Dann allerdings schob sie hinterher: »Oder doch.«
    »Was für Schuhe tragen Sie?«
    Sie hob einen Fuß, der in einem abgetragenen Reebok-Sneaker steckte.
    »Damit sollten Sie einen ganz guten Halt haben. Halten Sie sich an den Griffen fest und springen dann wieder ab, okay? Sie müssen fest aufkommen und möglichst weit weg vom Waggon. Abzuspringen ist sehr viel gefährlicher als aufzuspringen – man muss sich von den Rädern wegrollen, nicht auf sie zu.«
    Vielleicht war das doch keine so gute Idee. »Okay.«
    Der Zug hielt den Flusswind ab, und prompt begann Theresa zu schwitzen. Sie befand sich immerhin bei den Gleisen, dem alten Revier des Torso-Mörders, und das nächste Opfer würde eine Frau sein.
    »Der hier.« Corliss deutete auf einen grünen Güterwaggon, der auf sie zurollte und dessen Aufschrift zu klein war, um sie zu entziffern. Theresa schüttelte die düsteren Gedanken ab und beobachtete den Zug. Drei Meter … anderthalb Meter … sie packte mit beiden Händen die oberen Griffe und zog sich halb, halb sprang sie in die Höhe, bis ihre Füße auf einer Fußschiene Halt fanden, viel weiter über dem Boden, als sie erwartet hatte. Der Wind peitschte ihr die Locken ins Gesicht, ihr Herz schlug panisch, zumindest bis sie merkte, dass der Zug so langsam fuhr, dass der ältere Edward Corliss nebenhergehen konnte.
    Der Abstand zwischen ihr und dem Schotter bereitete ihr dann mehr Sorgen als die Geschwindigkeit. Die Haltegriffe schienen auch viel zu weit von der Schiebetür entfernt zu sein. Um sich von hier in einen offenen Waggon zu hieven, musste man beweglich und stark sein. Und furchtlos.
    »Nun?«, rief ihr Corliss zu.
    Die Erschütterungen der schweren

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