Flammenbraut
Cleveland und New Castle, Pennsylvania, erforderlich machte?«
Corliss setzte sich an den Tisch und stützte das Kinn in die Handfläche. »Bremser, Heizer, Lokführer. Die Eisenbahnpolizei – von den Landstreichern auch Bullen genannt.«
»Bullen.« Das Wort stand auf James’ Liste unter einer anderen Anmerkung zur Eisenbahn.
»Schaffner – auch auf den Güterzügen gab es Schaffner, nicht nur in den Passagierzügen. In einem Passagierzug mit Restaurant- und Schlafwagen gab es noch dazu Kofferträger, Dienstmädchen, Köche, Kellner und Barkeeper.«
Theresa setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. »In jedem Zug?«
»In jedem Zug.« Er lächelte sie mitleidig an. »Ihre nächste Frage ist sicher, welche Züge zwischen New Castle und Cleveland verkehrten, richtig?«
»Richtig.«
»Hunderte. Güterzüge, Passagierzüge … selbst 1935 gab es Waggons, die fünfzig verschiedenen Gesellschaften gehörten. Daher nannte man den Terminal Tower ursprünglich Union Terminal – eine gemeinsame Station für Züge verschiedener Gesellschaften. Wie auch immer, ja, New Castle war ein Knotenpunkt, den Eisenbahnen aus allen östlichen Staaten passierten.«
»Wie viele gingen von New Castle aus? Beziehungsweise gab es Bahnen, die ausschließlich zwischen New Castle und Cleveland verkehrten?«
»Ich werde nachsehen, ob ich dazu etwas finden kann, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass von einer solch kleinen Gesellschaft noch Unterlagen existieren. Die meisten Bahnen fuhren mindestens bis Pittsburgh, über New Castle hinaus, wie die Alliance oder die Northern oder die Pittsburgh and Lake Erie. Aber da wäre noch etwas.«
Theresa sah ihm abwartend in die blauen Augen.
»Eisenbahnarbeiter waren nicht vergleichbar mit Stewardessen oder Geschäftsreisenden, sie waren eher so was wie Pendler. Ein Schaffner oder Bremser konnte die Fahrt nach New Castle täglich absolvieren, blieb dort aber nicht über Nacht oder über das Wochenende. Der Zug hätte dort nur so lange Aufenthalt gehabt, um ihn zu ent- und wieder beladen, und dann wäre die Fahrt zurück nach Cleveland gegangen. Einer der vielen Jobs meines Vaters war zum Beispiel Bremser auf der Trenton-Linie der Pennsylvania Railroad. Er ist jeden Tag durch Pennsylvania gefahren, von Glenloch nach Morrisville und wieder zurück, und war trotzdem zum Abendessen zu Hause.«
Theresa verlor den Mut, als ihr klarwurde, was er damit sagen wollte. Einem Arbeiter aus Cleveland war also keine Zeit geblieben, in New Castle Menschen umzubringen. »Es gab keinen Aufenthalt?«
»Nur so lange, wie man für das Ent- und Beladen brauchte, was auch mal Stunden dauern konnte, klar. Aber dann mussten die Arbeiter auch ihre Arbeit tun, konnten nicht müßig herumsitzen.«
Theresa versuchte es mit einer anderen Theorie. »Was ist mit den Angestellten, die nicht in den fahrenden Zügen gearbeitet haben?«
»Klar … der Rangiermeister, der überwachte, welche Waggons an welche Züge gekoppelt wurden … Gepäckträger, Stationsvorsteher, jemand, der den Telegrafen bediente. Gleisarbeiter – die Männer, die die Schienen warteten. Einen Dispatcher, Mechaniker, Schweißer.«
»Konnte ein Arbeiter in einem der Züge seiner Gesellschaft mitfahren, als eine Art Entgegenkommen? Etwa wie Piloten vermutlich Flugbegleiter mitfliegen lassen können, wenn es freie Plätze gibt … zumindest bis vor dem elften September.«
»Ich weiß es nicht genau, aber das gab es bestimmt. Je nachdem, mit wem man befreundet war, konnte man sicher im Kohlenwagen oder sogar auf der Lok oder einem leeren Sitz mitfahren. In einem Zug wäre das sogar leichter als bei jeder anderen Transportmöglichkeit, weil es so viele verschiedene Bereiche gab. Der Lokführer und der Heizer waren ganz vorn im Zug, der Bremser und der Schaffner ganz hinten im Dienstwagen. Ein Mitfahrer musste wahrscheinlich nicht einmal unbedingt für die betreffende Gesellschaft arbeiten … wie Sie schon sagten, ein Entgegenkommen unter Kollegen. Vor allem in den höheren Positionen in einem Unternehmen. Aber es müsste jemand sein, auf den diese Kriterien zutrafen, nicht irgendein Kerl, der nicht für seine Fahrkarte zahlen wollte. Es wäre zu einfach gewesen, seine Arbeit wegen so etwas zu verlieren, besonders in den Dreißigerjahren …«
»Man konnte es sich schlichtweg nicht leisten, seinen Job zu verlieren.«
»Genau.«
Beide schwiegen für einen Moment und überdachten die verschiedenen Möglichkeiten. Theresas Optimismus verpuffte wie
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