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Flammenbucht

Flammenbucht

Titel: Flammenbucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Gorjinischen Kanal entlang. Die Straße teilte sich in zwei Trassen; auf der einen rollten Kutschen und Ochsenwagen, während die andere, höher gelegene, dem Fußvolk vorbehalten war. Dicht drängten sich Krämer und Lastenträger, Seefahrer und Hafenarbeiter; hier und dort ein Bettler, der sich an den Kleidern der Vorbeihastenden festklammerte und sie um eine Kupfermünze anflehte, oder ein streunender Hund, der zwischen den Menschenbeinen nach herabgefallenen Fischen suchte. Über dem Kanal hingen an langen Ketten Eisenkörbe, in denen Schwelfeuer loderten. Sie spendeten den zur Stadt fahrenden Kähnen Licht, denn noch lag Vara in Dunkelheit. Doch schon graute der Morgen, und der vom Hafen herwehende Dunst floh vor der aufsteigenden Sonne.
    Voran, voran… der Bote bahnte sich einen Weg durch das Gewimmel, den Ledertornister fest an die Seite gepreßt. Die Straße endete auf dem Gorjinischen Markt; hier lagen die Handelskontore von Vara: Speicherhallen aus Backsteinen; Prunkbauten mit ausladenden Arkaden, unter denen die Krämer ihre Waren feilboten; Kuppelzelte mit allerlei Marktständen. Südlich des Platzes teilte sich der Kanal. Eine Treppe führte zum Anlegeplatz der Kähne hinunter. Der Bote eilte die Stufen hinab, drückte einem Kahnführer eine Münze in die Hand, schwang sich in ein Boot, griff nach der Stange, die ihm entgegengestreckt wurde. Einige Stöße genügten, dann rauschte das Boot dahin und ließ den Gorjinischen Markt hinter sich.
    Die Wasserstraße, nun geschrumpft auf eine Breite von zwölf Schritt, schlängelte sich zwischen den Häusern der Weststadt hindurch. Hohe Ziegelsteingebäude; ihnen waren Holzstege vorgelagert, an denen die Boote anlegen konnten. Immer wieder öffneten sich zwischen den Häuserzeilen neue Verzweigungen des Kanals. Brücken führten über die Wasserwege hinweg, manche kaum mehr als Brettergerüste, andere Meisterwerke der Baukunst mit reich verzierten Pfeilern.
    Voran, voran… wieder senkte der Bote die Stange ins Wasser, stieß das Boot vom Grund ab. Der Kanal mündete in einen von Fackeln erleuchteten Tunnel; die Wände waren mit rätselhaften Symbolen bekritzelt, die nur die Kahnleute zu lesen vermochten. Bald war am Ende des Tunnels Tageslicht zu erkennen. Wasser floß in einen See, dessen Ufer von prächtigen Gebäuden gesäumt war. Es waren die Häuser der reichen Bürger von Vara. Mit ihren verspielten Türmen und Erkern glichen sie kleinen Schlössern.
    In der Mitte des Sees ruhte ein riesiger Quader, eine künstliche Insel aus Metall, die auf seltsame Weise frei von Rost war: die Eiserne Insel von Vara. Auf ihr stand Gendor, der Palast des varonischen Fürsten, ein ovaler Turm, der sich nach oben verjüngte und in einem kupferbeschlagenen Dachfirst auslief. Die schlichte Form verlieh dem Turm einen kühnen Stolz. In ihm hatte einst die Familie Geneder geherrscht, bis sie aus der Stadt verbannt worden war. Nun aber residierte Hamalov Lomis in dem Palast; die an der Turmspitze wehende Prunkfahne zeigte das Symbol seines Hauses, einen Fischotter.
    In der Ferne aber, wo sich das Häusermeer auf flach ansteigenden Hügeln gen Osten weiterzog, waren die Zinnen zwei anderer markanter Gebäude zu erkennen: der Kaiserpalast und der Silberne Dom. Der Palast, ein Komplex aus mehreren Gebäuden, war auf zwei Terrassen am Hang errichtet worden; die einzelnen Gebäudeteile waren durch überdachte Treppengänge und Altanen miteinander verbunden. Eine Prachtstraße führte an blühenden Gärten vorbei zur Ringmauer des Schlosses. Die weißen Dächer des Palastes schimmerten im Licht der aufgehenden Sonne. Noch heller aber erstrahlte der Turm des Silbernen Doms, der zwischen den Häusern aufragte. Wie der gereckte Hals eines Schwans erhob er sich über der Stadt: schlank und hoch und aus weißem Stein, ein filigranes Gebilde, durch dessen Fensterbögen eine emporstrebende Wendeltreppe zu erkennen war. Sonnenstrahlen umspielten die versilberte Turmspitze.
    Der Bote ließ sein Boot auf dem See treiben und blinzelte in die Morgensonne. Welch atemberaubenden Anblick bot Vara in diesen frühen Stunden! Die größte Stadt des Kaiserreiches - ja, der ganzen Welt, wie manche behaupteten -begrüßte den kommenden Tag, und ihre Schönheit schien nun, da sie erneut Hauptstadt des sitharischen Reiches geworden war, vollkommen.
    Andächtig ließ der Bote die Stange zurück ins Wasser gleiten und lenkte das Boot in Richtung der Eisernen Insel. Seine Hand fuhr unter den Verschluß des

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