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Flammenbucht

Flammenbucht

Titel: Flammenbucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Neunte Kammer war erst vor einigen Jahren erschlossen worden, und nur wenige Angehörige des Spektakels arbeiteten in diesem gefährlichen Gebiet.
    Eine Gestalt schlich durch den Gang. Es war Tyra, jene junge Frau, die der Haubenträger in der Erhabenen Halle angesprochen hatte. Vorsichtig stieg sie über Felsspalten und Gesteinsbrocken hinweg, sichtlich darauf bedacht, keinen Lärm zu verursachen. Immer wieder wanderten ihre Augen zur Decke empor und suchten den silbernen Draht, der sich über ihrem Kopf spannte.
    Bald wurde der Weg abschüssig; Tyra mußte einige grob gehauene Stufen hinabsteigen. Unten öffnete sich eine schräg zulaufende Höhle. An ihrem hinteren Ende, Tyra den Rücken zugewandt, stand ein Mann. Er trug ein dunkelgraues Hemd und eine Stoffhose; die Kleidungsstücke starrten vor Schmutz. Ihm zu Füßen ruhte ein Kessel. Er war bis zur Hälfte mit einer silbrigen Flüssigkeit gefüllt. Darüber waberte weißer Rauch. Gerade tauchte der Mann seine linke Hand in den Kessel, zog sie hervor und spritzte den silbrigen Sud gegen die Felswand. Ein Summen setzte ein; es drang aus dem Felsen, und ein schwacher Glanz wanderte über das Gestein, dort, wo die Flüssigkeit es benetzt hatte.
    Tyra näherte sich dem Mann auf Zehenspitzen. Ehe sie ihn erreicht hatte, schnellte er herum. Er war um die vierzig Jahre alt, trug einen schwarzen Vollbart und hatte dichtes Haar. Sein Gesicht wirkte aufgedunsen. »Ich habe dich kommen hören, Tyra. Nicht deine Schritte, doch deinen Atem. Du kannst ihn noch immer nicht kontrollieren, obwohl ich dir beigebracht habe…«
    »Es ist keine Zeit für Lehrstunden, Sadris«, unterbrach ihn die Frau. »Ich habe dich überall gesucht, und nun finde ich dich in diesem toten Gang.«
    Der Mann wies auf den Kessel zu seinen Füßen. »Der Haubenträger suchte einen Freiwilligen, der die Schätze der Neunten Kammer erschließt. Da sich kein anderer fand, erklärte ich mich bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.« Er senkte den Blick. »Ich wollte allein sein. Hier unten ist es still. Niemand stört meine Gedanken.« Er fuhr sich über den rechten Hemdsärmel, der leer und schlaff herabhing. Sein rechter Arm war verkrüppelt, fehlte ab dem Ellenbogen.
    Tyra betrachtete die Felswand, die noch immer silbern glänzte. »Bist du fündig geworden?« »Mehrere Goldadern verzweigen sich in dem Gestein, und auch ein Zinnvorkommen habe ich entdeckt. Das Metall sitzt tief im Fels. Der Berg wird es sich nur schwer entreißen lassen.« Sadris wandte sich von ihr ab, tauchte erneut die Hand in den Kessel und legte sie auf die Felswand. Das Gestein glomm unter seinen Fingern auf, und der summende Ton kehrte zurück. Zugleich begann der silberne Draht an der Höhlendecke zu singen; er antwortete dem Ruf des Rochens.
    »Warum bist du hier?« fragte Sadris, ohne sich umzudrehen.
    »Ich… ich habe den Jungen gesehen. Den Wandelbaren. Den Auserkorenen.«
    Sadris fuhr herum, packte Tyra am Ellenbogen. Seine Lippen bebten. »Still! Sei doch still!« Sein Blick wanderte zur Höhlendecke empor. Deutlich hob sich der Silberdraht von dem Gestein ab. Sadris zerrte die junge Frau in einen Winkel der Höhle, der im Schatten lag. »Du hast ihn also gesehen, den Auserkorenen! Die Gerüchte sind wahr, sagst du?«
    »Darsayn führte ihn durch die Erhabene Halle. Es ist ein Junge, Sadris; ein Kind, kaum älter als zwölf Jahre. Sein Gesicht…« Tyra suchte nach Worten. »Es ist gezeichnet… es ist ein Teil des Gefüges. Nie zuvor habe ich so etwas gesehen. Es ist so, wie es die alten Schriften verkünden. Die Ankunft des Wandelbaren… Was sollen wir jetzt tun, Sadris?«
    Sadris schien wie gelähmt. »Ein Kind…ja, so steht es geschrieben; ein Kind wird kommen, um die Beschlagenen in den letzten Kampf zu führen.« Er streifte den rechten Hemdsärmel zurück, bis sein Armstumpf zu erkennen war. »Ich erinnere mich an den Tag meiner Beschlagung, als Darsayn mich zum Teil des Gefüges machte. Wie lange hatte ich diesem Ereignis entgegengefiebert, wie lange hatte ich darauf gewartet, das Wesen des Gefüges zu ergründen! Dann begannen die Qualen…ich habe sie erduldet, wochenlang; habe meinen Kopf auf dem Boden meiner Kammer blutig geschlagen, habe im Stillen gefleht, diese Schmerzen mögen aufhören… doch umsonst, umsonst! Das Gefüge stieß mich von sich, und der Haubenträger schlug mir die faulende Hand ab, die vergeblich nach den Strömen der Sphäre gegriffen hatte.« Er ließ den verstümmelten Arm sinken.

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