Flammendes Begehren
»Elena gebührt also größerer Dank als einem, sagen wir, Fremden, der Euch auf dem Markt das Leben gerettet hat?«
Elizabeth’ Magen machte einen Satz. Zu spät hatte sie gemerkt, dass sie ihm auf den Leim gegangen war. Sie stellte die Puddingschüssel auf den Tisch und griff nach dem Weinkelch. »Der Vergleich hinkt, und das wisst Ihr auch.«
»Tue ich das?«
Die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund. »Ihr habt mich beleidigt, habt Eure Ritterlichkeit ausgenutzt und einen Kuss eingefordert.«
»Ich habe gar nichts verlangt. Und selbst wenn, war es nicht viel, verglichen damit, dass ich Euch das Leben gerettet habe.« Er hielt inne und stellte den Kelch auf seinem Oberschenkel ab. »Verratet mir, hättet Ihr ihn mir gegeben?«
Elizabeth atmete zitternd aus. »Den Kuss?«
»Den Kuss.«
Ihr Blick schoss zu seinem Mund. Sosehr sie sich auch dagegen sträubte, sie war machtlos gegen die sündigen Erinnerungen, die sie heimsuchten. Wie seine Lippen über die ihren glitten. Die Wärme, die er verströmte. Wie er schmeckte. »Ich … ich weiß nicht. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Ihr in Wirklichkeit ein Lord seid.«
Sein Blick verfinsterte sich. Er stellte den Wein ab und legte die Fingerspitzen aneinander. »Lasst uns so tun, als wäre Euch meine wahre Identität verborgen geblieben. Hättet Ihr mich in das Verlies von Wode Castle sperren lassen, weil Euch mein harmloser Scherz nicht gefallen hat? Weil ich Euch wegen etwas aufgezogen habe, das zwischen Mann und Frau nichts Ungewöhnliches ist?«
Die Wärme wich aus Elizabeth’ Leib. An jenem Morgen auf dem Markt hatte er sie mit seiner Verwegenheit geschockt, und sie hatte gesprochen, ohne nachzudenken. Sie spürte, wie sich seine verbale Schlinge weiter zuzog. »Ihr habt meine Wut heraufbeschworen und …«
»Ihr redet um den heißen Brei herum«, brummte er. »Ja oder nein?«
»N-nein.«
Er atmete geräuschvoll aus. »Verfolgt Ihr mit Eurer Frage eigentlich einen bestimmten Zweck?«
»Ja, Elizabeth. Ich komme nicht umhin, zu sagen, dass ich Euch als höchst rätselhaft empfinde. Auf der einen Seite pocht Ihr mit unsäglicher Hochnäsigkeit auf Euren Rang, auf der anderen Seite zeigt Ihr grenzenloses Mitgefühl für eine Magd, die nicht einmal in Eurem Dienste steht, was auf ein zartes Gemüt schließen lässt. Welche von den beiden ist denn nun die wahre Lady Elizabeth Brackendale?«
Elizabeth sah auf ihre Hände, die den Kelch fest umklammert hielten, so dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. »Was spielt das für eine Rolle?«
»Eine ziemlich große, finde ich.«
Pein und Einsamkeit mischten sich in seine Worte. Aus einer verborgenen Tiefe ihrer Seele drang ein Schrei in ihr Bewusstsein. Noch im selben Moment bekämpfte sie das aufsteigende Mitleid.
»Ich hatte keinen Grund, Elena meine Hilfe zu verwehren, was im Übrigen für sämtliche Bedienstete von Wode Castle gilt«, sagte sie. »Man hat mir beigebracht, dass Damen und Herren von Stand ihren Untergebenen mit demselben Maß an Güte wie an Härte begegnen sollten. Das ist der beste Weg, sie zu guter Arbeit anzuspornen und sich ihren Respekt und ihre Loyalität zu sichern.«
Geoffrey nickte. »Welch weise Worte!«
»Das waren die Worte meines Vaters«, erklärte sie mit stolzgeschwängerter Stimme.
Geoffreys Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Die fast schon ergreifende Intimität löste sich wie eine dünne Rauchfahne in Wohlgefallen auf. »Euer Vater.« Es klang, als würde er fluchen.
Versessen darauf, ihn dazu zu bewegen, seinen Hass einen Augenblick lang zu vergessen, sagte sie: »Mein Vater ist nicht der grausame Lord, für den Ihr ihn haltet. Er ist ein Mann von Ehre und Loyalität.«
Feindseligkeit flackerte in Geoffreys Augen auf. »Euer Vater hat meinen Vater mit seinem eigenen Schwert umgebracht. Das werde ich nie vergessen … geschweige denn verzeihen können!«
Ein wütendes Schnauben entwich Elizabeth’ Lippen. »Ihr wisst nicht mit Sicherheit, dass die tödlichen Wunden von meinem Vater stammen! Woher wollt Ihr so genau wissen, was sich vor achtzehn Jahren zugetragen hat? Ihr wart nichts weiter als ein verängstigtes Kind in den Wirren eines erbitterten Kampfes.«
»Lord Brackendale hat Wode Castle belagert. Er war es, der den Angriff leitete und die Befehle gab. Die gesamte Verantwortung lag also bei ihm.«
»Es war eine königliche Order!« Ihre ohnehin schon dünnen Nerven drohten zu zerreißen. »Mein Vater hatte gar keine andere Möglichkeit, als dem
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