Flammendes Eis
Holz blätterte die Farbe ab, und jedes Stück Metall schien korrodiert zu sein. Vor einer der wenigen Ausnahmen blieb Austin stehen, einem solide wirkenden Holzboot, das offenbar immer wieder gewartet worden war. Auf dem schwarzen Rumpf und dem weißen Ruderhaus schimmerte die jüngste der unzähligen Farbschichten, und alle Metallteile hatte man mit Öl auf Hochglanz poliert.
Aus seiner Tasche holte Austin einen kleinen Zettel hervor, auf dem das Wort
Turgut
stand, genau wie in weißen Buchstaben am Heck des Boots. Er lächelte beifällig. Dieser Kapitän Kemal gefiel ihm, obwohl er den Mann noch gar nicht kannte. Turgut war im sechzehnten Jahrhundert ein berühmter Admiral in Diensten Suleiman des Prächtigen gewesen. Wer seinen alten Fischerkahn nach einer solch übermächtigen Figur benannte, musste nicht nur Geschichtswissen, sondern auch Humor besitzen.
Das Deck war menschenleer, abgesehen von einem Mann in einem zweireihigen schwarzen Anzug. Er saß auf einer dicken Seilrolle und flickte ein Netz, das über seinen Knien lag.
»Merhaba«
, grüßte Austin ihn auf Türkisch. »Darf ich an Bord kommen?«
Der Mann hob den Kopf.
»Merhaba«
, sagte er und winkte Kurt zu sich.
Über die kurze Gangway gelangte Austin an Deck. Das Boot war ungefähr fünfzehn Meter lang und hatte einen breiten Rumpf, so dass es stabil im Wasser lag. Kurt ließ den Blick langsam über die
Turgut
wandern und erkannte, welch außerordentliche Anstrengungen nötig gewesen waren, um ein Boot in Schuss zu halten, das aussah, als stamme es noch aus der Zeit des Osmanischen Reichs. Er ging zu dem Mann mit dem Netz. »Ich suche nach Kapitän Kemal.«
»Ich bin Kemal«, sagte der Mann. Seine Finger erledigten ihre Arbeit mit atemberaubender Geschwindigkeit und verpassten dabei keine einzige Schlaufe.
Der Kapitän war ein schmächtiger Mann Mitte fünfzig, und die olivfarbene Haut seines schmalen Gesichts hatte dank Sonne und Wind einen rötlichen Teint angenommen. Das dunkelbraune Haar unter der Wollmütze färbte sich allmählich grau, und der schmale Schnurrbart in dem ansonsten glatt rasierten Gesicht schien durch die lange gebogene Nase an Ort und Stelle gehalten zu werden. Zu seinen Füßen stand ein Kofferradio, aus dem leise ein wehklagendes türkisches Lied erklang.
»Ich heiße Kurt Austin und arbeite für die National Underwater & Marine Agency. Wir waren mit dem NUMA-Schiff
Argo
unterwegs und haben die Leiche Ihres Cousins Mehmet geborgen.«
Kemal nickte ernst und legte das Netz beiseite. »Mehmet wurde heute Morgen begraben«, sagte er in einwandfreiem Englisch. Er zupfte an seinem Ärmel, um zu verdeutlichen, dass er seinen besten und einzigen Anzug trug.
»Ich weiß, man hat es mir an Bord der
Argo
mitgeteilt.
Hoffentlich stört es Sie nicht, dass ich schon so bald darauf hier bei Ihnen auftauche.«
Der Kapitän schüttelte den Kopf und deutete auf einen hüfthohen Netzstapel neben sich.
»Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Austin.«
»Sie sprechen sehr gutes Englisch.«
»Danke. Ich war früher als Koch auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von Ankara beschäftigt.« Er lächelte und enthüllte einen funkelnden Goldzahn. »Die Bezahlung war gut. Ich habe hart gearbeitet und konnte von dem gesparten Geld dieses Boot kaufen.«
»Wie ich sehe, haben Sie es nach einem großen Admiral benannt.«
Kemal zog beeindruckt eine buschige Augenbraue hoch. »Für mein Volk war Turgut ein großer Held.«
»Ich weiß. Ich habe eine Biographie über ihn gelesen.«
Der Kapitän sah Kurt durchdringend an. Seine tief liegenden braunen Augen schimmerten feucht. »Bitte sprechen Sie der NUMA meinen Dank aus. Es wäre für Mehmets Familie sehr schlimm gewesen, seinen Körper nicht beerdigen zu können.«
»Ich werde es Kapitän Atwood und der Besatzung der
Argo
ausrichten. Ihren Namen weiß ich übrigens von Miss Dorn.«
Der Kapitän lächelte. »Die wunderschöne Fernsehfrau ist gestern Abend vorbeigekommen. Sie sagte, für Mehmets Witwe würde gut gesorgt. Es wird ihr Mehmet nicht ersetzen, aber er hätte in seinem ganzen Leben niemals so viel Geld verdienen können.« Er schüttelte staunend den Kopf. »Gott ist groß.«
»Ich habe vorhin im Hotel angerufen. Miss Dorn hat ausgecheckt.«
»Sie ist nach Paris geflogen. Sie will mein Boot später noch einmal chartern, braucht aber vorher die Erlaubnis ihrer Bosse.«
Kaelas Abreise erfüllte Austin mit gemischten Gefühlen. Er bedauerte, die reizende TV-Reporterin
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