Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Besuch mehr empfangen dürfen«, unterbricht ihn die Frau.
»Wir gehen gleich wieder«, erwidert er. »Wir müssen nur kurz Caroline fragen, ob …«
»Sie fragen gar nichts.«
97
IM AUFZUG ZU SEINEM BÜRO im Polizeipräsidium mustert Joona den Schlüsselanhänger. Er liegt in einer kleinen Plastiktüte und ähnelt der Form nach einer großen Münze, einem Silberdollar, allerdings mit dem Namen Dennis im Relief auf der einen Seite und einer hellblauen Blume mit sieben Blütenblättern auf der anderen. In einem kleinen Loch an der Oberseite ist ein recht kräftiger Schlüsselring befestigt.
Am Vorabend hatte Elin Frank Joona noch zu später Stunde angerufen. Sie saß im Auto, wollte Daniel nach Hause fahren und sich anschließend in Sundsvall ein Hotelzimmer nehmen.
Elin erzählte, dass Tuula den Schlüsselanhänger am Freitagmorgen aus Vickys Tasche entwendet hatte.
»Er war Vicky offenbar wichtig. Sie hat ihn von ihrer Mutter bekommen«, erzählte Elin und versprach, ihm den Gegenstand per Kurier zukommen zu lassen, sobald sie im Hotel sein würde.
Joona dreht die Tüte im grellen Licht mehrmals hin und her, ehe er sie in seine Jacketttasche steckt und im fünften Stock aussteigt.
In Gedanken spielt er verschiedene Gründe dafür durch, dass das Mädchen von seiner Mutter einen Schlüsselanhänger mit dem Namen Dennis bekommen hatte.
Vicky Bennets Vater ist nicht bekannt, die Mutter brachte Vicky ohne ärztliche Hilfe zur Welt, und das Kind wurde erst im Alter von sechs Jahren behördlich erfasst. Wusste die Mutter vielleicht die ganze Zeit, wer der Vater war? War dies ihre Art, es Vicky mitzuteilen?
Joona geht zu Anja, um sich zu erkundigen, ob sie etwas herausgefunden hat. Doch noch bevor er den Mund öffnen kann, schießt sie bereits los:
»Es gibt in Vicky Bennets Leben nicht die geringste Spur von einem Dennis. Nicht im Haus Birgitta, nicht in dem Heim in Ljungbacken und in keiner der Familien, in denen sie gelebt hat.«
»Seltsam«, sagt Joona.
»Ich habe sogar Saga Bauer angerufen«, erzählt Anja und lächelt. »Der Staatsschutz hat ja seine eigenen Karteien.«
»Aber irgendjemand muss doch wissen, wer Dennis ist«, sagt er und setzt sich auf die Kante ihres Schreibtisches.
»Nein«, seufzt sie und trommelt mit ihren langen, rot lackierten Fingernägeln auf dem Tisch.
Joona sieht aus dem Fenster. Schwere Wolkenformationen jagen am Himmel vorüber.
»Ich stecke fest«, sagt er ohne Umschweife. »Ich kann die Laborberichte nicht anfordern, ich darf niemanden vernehmen, ich habe keine Spur, die ich verfolgen kann.«
»Vielleicht solltest du dir eingestehen, dass es noch nicht einmal dein Fall ist«, sagt Anja leise.
»Das kann ich nicht«, murmelt er.
Anja lächelt zufrieden und errötet.
»In Ermangelung von etwas anderem möchte ich, dass du dir etwas anhörst«, sagt sie. »Und diesmal geht es nicht um finnischen Tango.«
»Das habe ich auch nicht geglaubt.«
»Und ob du das getan hast«, meckert sie und klickt auf ihrem Bildschirm etwas an. »Das hier ist ein Telefongespräch, das ich heute angenommen habe.«
»Du nimmst deine Telefonate auf?«
»Ja«, antwortet sie ruhig.
Plötzlich ertönt aus den Lautsprechern des Computers eine dünne Frauenstimme:
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich immer wieder anrufe«, sagt die Frau am Telefon fast atemlos. »Ich habe mit einem Polizisten in Sundsvall gesprochen, und er meinte, ein Kommissar namens Joona Linna könnte vielleicht interessiert sein …«
»Sprechen Sie mit mir«, hört man Anja sagen.
»Hauptsache, Sie hören mir zu, denn ich … Ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu den Morden im Haus Birgitta mitzuteilen.«
»Dafür hat die Polizei eine Rufnummer für sachdienliche Hinweise eingerichtet«, hört man Anja erklären.
»Ich weiß«, erwidert die Frau schnell.
Auf Anjas Schreibtisch winkt unablässig eine japanische Katze. Joona hört das leise Klicken der Mechanik und lauscht gleichzeitig der Frauenstimme.
»Ich habe das Mädchen gesehen, es wollte sein Gesicht nicht zeigen«, sagt sie. »Dann war da noch ein großer blutiger Stein, Sie müssen nach dem Stein suchen …«
»Wollen Sie mir etwa sagen, dass Sie den Mord gesehen haben?«, fragt Anja.
Man hört die schnellen Atemzüge der Frau, ehe sie antwortet.
»Ich weiß nicht, warum ich das gesehen habe«, antwortet sie. »Ich habe Angst und bin sehr müde, aber ich bin nicht verrückt.«
»Meinen Sie, dass Sie den Mord gesehen haben?«
»Oder ich bin doch
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