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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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Sie warten eine Weile, aber es öffnet niemand, also gehen sie zum Aufenthaltsraum.
    »Vergessen Sie nicht, worüber ich vorhin gesprochen habe«, sagt Daniel ernst.
    Das Feuer im offenen Kamin ist erloschen. Auf dem Esstisch stehen noch ein paar Teller mit Essensresten. Durch die große Fensterfront der Veranda sieht man in der Dunkelheit den Hafen. Die silbrigen, von der Sonne ausgeblichenen Fischerschuppen stehen in einer Reihe und spiegeln sich im Wasser. Es ist eine herrliche Aussicht, aber das kleine rothaarige Mädchen hat seinen Stuhl zur Wand gedreht und starrt die weiß lackierten und verzierten Latten an.
    »Hallo Tuula«, sagt Daniel leichthin.
    Das Mädchen mit den blassen Augen dreht sich um. Ein gehetzter Gesichtsausdruck weicht einem anderen, schwer zu deutenden.
    »Ich habe Fieber«, murrt sie und wendet sich wieder der Wand zu.
    »Schöne Aussicht.«
    »Nicht wahr«, entgegnet sie und starrt die Wand an.
    Elin sieht, dass sie lächelt, ehe ihr Gesicht wieder ernst wird.
    »Ich muss mit dir reden«, sagt Daniel.
    »Wenn es sein muss.«
    »Ich möchte dein Gesicht sehen, wenn wir uns unterhalten.«
    »Soll ich es losschneiden?«
    »Es wäre einfacher, den Stuhl umzudrehen.«
    Sie seufzt schwer, dreht den Stuhl um und setzt sich mit verschlossener Miene.
    »Du hast letzten Freitag Vickys Tasche geklaut«, sagt Elin.
    »Was?«, fragt sie. »Was sagst du? Was zum Teufel hast du gesagt?«
    Daniel versucht, Elins Worte abzuschwächen:
    »Sie wollte nur wissen …«
    »Halt’s Maul!«, schreit Tuula.
    Es wird still, und Tuula kneift die Lippen zusammen und kratzt sich Nagelhaut ab.
    »Du hast Vickys Tasche geklaut«, wiederholt Elin.
    »Das ist eine verdammte Lüge«, sagt Tuula leise und senkt den Blick.
    Sie gibt keinen Ton mehr von sich, macht ein trauriges Gesicht und zittert. Elin lehnt sich vor, um ihr über die Wange zu streichen.
    »Ich wollte dich nicht …«
    Tuula packt Elins Haare, schnappt sich eine Gabel vom Tisch und versucht, sie Elin ins Gesicht zu stechen, aber Daniel gelingt es, ihre Hand aufzuhalten. Er hält Tuula fest, und sie windet sich und tritt und schreit:
    »Du dreckige Fotze, ich schlag dich zu Brei, du …«
    Tuula weint heiser, und Daniel hält sie ruhig in den Armen. Sie sitzt auf seinem Schoß, und nach einer Weile entspannt sich ihr Körper. Elin hat sich etwas zurückgezogen und tastet ihre schmerzende Kopfhaut ab.
    »Ich weiß – du hast dir die Tasche nur geliehen«, sagt Daniel.
    »Da war sowieso nur Krempel drin«, erwidert Tuula. »Ich hätte das ganze Zeug verbrennen sollen.«
    »Dann gab es in der Tasche nichts, was bei dir bleiben wollte?«, fragt Daniel.
    »Nur der Blumenknopf«, sagt das Mädchen und begegnet seinem Blick.
    »Das klingt hübsch – darf ich ihn mal sehen?«
    »Der wird von einem Tiger bewacht.«
    »Oho.«
    »Du kannst mich an die Wand nageln«, murmelt sie.
    »Gab es noch etwas, was bei dir bleiben wollte?«
    »Ich hätte Vicky abfackeln sollen, als wir im Wald waren …«
    Während Tuula mit Daniel spricht, verlässt Elin die verglaste Veranda, durchquert den Aufenthaltsraum und kommt in den kalten Flur. Er ist dunkel und verwaist. Sie geht zu Tuulas Tür, dreht sich noch einmal zum Aufenthaltsraum um, vergewissert sich, dass Daniel weiter mit dem Mädchen spricht und betritt anschließend ihr kleines Zimmer.

93
    ELIN STEHT MIT POCHENDEM HERZEN in einem kleinen Raum mit einem einzigen Fenster direkt unter dem Vorsprung eines niedrigen Dachs mit gewölbten Dachziegeln. Auf dem Fußboden liegt eine umgekippte Tischlampe, deren schwaches Licht das Zimmer von unten erhellt.
    An der weißen Wand hängt ein gestickter Wandschmuck mit dem Text: »Das Wichtigste ist, dass wir uns haben.«
    Elin denkt an Tuula, die sich die trockenen Lippen leckte und am ganzen Körper zitterte, bevor sie versuchte, ihr die Gabel ins Gesicht zu stechen.
    Ein merkwürdiger süßlicher und stickiger Geruch hängt in der stehenden Luft des Zimmers.
    Sie hofft, dass Daniel begriffen hat, wo sie hinwollte, und nun alles dafür tut, dass Tuula nicht in ihr Zimmer geht.
    Auf dem Lattenrost des schmalen Betts ohne Decke und Matratze steht ein kleiner roter Koffer. Vorsichtig geht Elin hin und öffnet ihn. Als sie sich vorbeugt, wird ihr Schatten an die Decke geworfen. Der Koffer enthält ein Fotoalbum, wenige zerknitterte Kleider, Parfümflakons mit Disneyprinzessinnen und ein Bonbonpapier.
    Elin schließt den Koffer wieder, schaut sich im Zimmer um und entdeckt, dass

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