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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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keuchenden Atemzügen. Es ist eine sehr schlanke Frau mit einem zerfurchten Gesicht und aufgesprungenen Lippen. Ungefähr vierzig, vielleicht aber auch nur dreißig Jahre alt. Als es ihr nicht gelingt, sich zu befreien, beginnt sie, Entschuldigungen und leise Beteuerungen zu wispern, dass sie es wiedergutmachen wird.
    »Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal«, wiederholt Joona und lässt sie los.
    Sie sieht ihn scheu an, als sie sich aufrichtet und ihre Umhängetasche vom Boden aufhebt. Ihre mageren Arme sind voller Injektionsnarben, und auf der Innenseite eines Unterarms sieht man ein zerschnittenes Tattoo. Das schwarze T-Shirt mit der Aufschrift »Kafkas Leben war auch kein Zuckerschlecken« ist sehr schmutzig. Sie streicht sich über die Mundwinkel, wirft einen Blick die Gleise hinab und bewegt sich tastend zur Seite.
    »Sie brauchen keine Angst zu haben, aber ich muss mit Ihnen sprechen.«
    »Ich habe keine Zeit«, entgegnet sie schnell.
    »Haben Sie jemanden gesehen, als Sie in dem Wagen waren?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    »Sie waren in dem Tunnel in einem U-Bahn-Wagen.«
    Sie bleibt stumm, presst die Lippen aufeinander und kratzt sich am Hals. Er hebt ihre Jacke auf, dreht sie wieder auf rechts und reicht sie ihr. Sie nimmt sie an, ohne ihm zu danken.
    »Ich suche nach einem Mädchen, das …«
    »Sie sollen mich in Ruhe lassen, ich habe nichts getan.«
    »Das sage ich auch gar nicht«, erwidert Joona freundlich.
    »Was zum Teufel wollen Sie dann von mir?«
    »Ich suche nach einem Mädchen namens Vicky.«
    »Was hat das mit mir zu tun?«
    Joona hält das Fahndungsfoto von Vicky hoch.
    »Kenne ich nicht«, behauptet sie automatisch.
    »Schauen Sie bitte noch einmal hin.«
    »Haben Sie Geld?«
    »Nein.«
    »Können Sie mir nicht mit ein bisschen Geld aushelfen?«
    Auf der Brücke fährt kreischend und Funken sprühend ein U-Bahn-Zug vorbei.
    »Ich weiß, dass Sie in der Fahrerkabine schlafen«, sagt Joona.
    »Das war Susie, sie hat damit angefangen«, versucht sie, von sich abzulenken.
    Joona zeigt ihr erneut das Foto von Vicky.
    »Das hier ist Susies Tochter«, erklärt er.
    »Ich wusste gar nicht, dass sie ein Kind hatte«, sagt die Frau und streicht sich über die Nase.
    Die Starkstromleitung, die am Boden entlangführt, beginnt zu surren.
    »Woher kannten sie Susie?«
    »Wir hingen unten in den Schrebergärten herum, solange das noch erlaubt war … mir ging es am Anfang echt dreckig, ich hatteHepatitis, und Vadim war die ganze Zeit hinter mir her … scheiße, ich bin so oft verprügelt worden, aber Susie hat mir geholfen … sie war eine echt taffe Lady, verdammt, ohne sie hätte ich den Winter nicht überstanden, keine Chance … Aber als Susie gestorben ist, habe ich mir ihr Zeug geschnappt, um …«
    Die Frau murmelt etwas und wühlt in ihrer Umhängetasche und zieht schließlich einen Schlüssel von der gleichen Art heraus, wie Vicky ihn in ihrer Tasche hatte.
    »Warum haben Sie ihn an sich genommen?«
    »Scheiße, das hätte echt jeder getan, so läuft das nun mal – ich hab ihn sogar genommen, bevor sie tot war«, bekennt die Frau.
    »Was war in dem Wagen?«
    Sie streicht sich über den Mundwinkel, murmelt »so eine Scheiße« und macht einen Schritt zur Seite.
    Auf unterschiedlichen Gleisen nähern sich zwei Züge. Der eine kommt von Blåsut und der andere von der Station Skärmarbrink.
    »Ich muss das wissen«, sagt Joona.
    »Okay, was soll’s«, erwidert sie und verdreht die Augen. »Da war ein bisschen Kohle und ein Handy.«
    »Haben Sie das Handy noch?«
    Das Donnern und das metallische Schaben werden lauter.
    »Sie können nicht beweisen, dass es nicht meins ist.«
    Der erste U-Bahn-Zug fährt mit hoher Geschwindigkeit vorbei. Unter ihren Füßen bebt der Erdboden. Lose Steinchen hüpfen den Bahndamm herab, und Unkraut raschelt im Luftzug. Ein leerer Becher von McDonald’s rollt zwischen den Schienen des zweiten Gleises.
    »Ich will es mir nur ansehen«, ruft er.
    »Ja, sicher«, entgegnet sie lachend.
    Ihre Kleider flattern im Luftzug. Der Hund bellt aufgeregt. Die Frau geht parallel zu den vorbeifahrenden U-Bahn-Wagen rückwärts, sagt etwas und läuft dann in Richtung der Depots. Esgeschieht so unerwartet, dass Joona nicht mehr reagieren kann. Offenbar hat sie den Zug aus der entgegengesetzten Richtung nicht gesehen, der ohrenbetäubend laut herandonnert. Der Zug fährt bereits sehr schnell und seltsamerweise hört man es nicht, als die Frau frontal getroffen

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