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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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eines der Worte fällt, die an die Wand gekritzelt sind: Mama.
    Er weicht einen Schritt zurück und erkennt im selben Augenblick, dass fast alles, was mit Farbe auf die Wände geschrieben und eingeritzt worden ist, Mitteilungen zwischen Vicky und ihrer Mutter sind. Dies muss ein Ort gewesen sein, an dem sie sich in Ruhe treffen konnten, und wenn sie sich verpassten, hinterließen sie Grüße.
    Mama, sie waren gemein,
ich konnte da nicht bleiben.
    Ich friere und muss was essen. Muss jetzt
zurück, aber komme am Montag.
    Sei nich traurig Vicky! die haben mich in ein Heim
gestekt deshalb hab ich dich verpast
    Danke für die Süssigkeiten.
    Kleines!! Ich schlafe jetzt hier ne Weile
Uffe is ein Schwein!!
Wenn du was Geld da lassen kannst wärs klasse.
    Frohe Weihnachten, Mama.
    Du musst kapieren, dass ich grad nicht ständig
zurückrufen kann
    Mama bist du wegen was wütend auf mich?

107
    ALS JOONA WIEDER HERAUSKOMMT , hat die Eingreiftruppe den bärtigen Mann umgedreht. Er sitzt mit dem Rücken an die Wand gelehnt, weint und wirkt sehr verwirrt.
    »Ich suche nach einem Mädchen und einem kleinen Jungen«, sagt Joona, zieht die Schutzweste aus und geht vor ihm in die Hocke.
    »Schlagen Sie mich nicht«, murmelt der Mann.
    »Keiner wird Sie schlagen, aber ich muss wissen, ob Sie hier ein Mädchen gesehen haben, hier in dem Wagen.«
    »Ich hab sie nicht angerührt, ich bin ihr nur gefolgt.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Ich bin ihr nur gefolgt«, antwortet er und leckt Blut von seinen Lippen.
    »War sie allein?«
    »Keine Ahnung – sie hat sich in der Kabine eingeschlossen.«
    »Hatte sie einen Jungen dabei?«
    »Einen Jungen? Ja, kann sein … kann sein …«
    »Antworten Sie ordentlich«, unterbricht ihn der Einsatzleiter.
    »Sie sind ihr hierher gefolgt«, fährt Joona fort. »Was hat sie dann gemacht?«
    »Sie ist wieder gegangen«, antwortet er mit ängstlichem Blick.
    »Wohin? Wissen Sie das?«
    »Dahin«, antwortet der Mann und nickt hilflos mit dem Kopf in Richtung des Gangs.
    »Sie ist in dem Gang da – meinen Sie das?«
    »Vielleicht nicht … vielleicht …«
    »Jetzt antworten Sie schon«, brüllt der Einsatzleiter.
    »Aber ich weiß es doch nicht«, schluchzt der Mann.
    »Können Sie mir sagen, wann sie hier war?«, fragt Joona behutsam. »War das heute?«
    »Gerade eben noch«, sagt er. »Sie fing an zu schreien und …«
    Joona läuft parallel zum Rangiergleis los und hört hinter sich, dass der Einsatzleiter die Vernehmung übernimmt. Mit heiserer, barscher Stimme fragt er den Mann, was er mit dem Mädchen gemacht, ob er sie angerührt hat.
    Joona rennt an einem rostigen Gleis entlang. Die Dunkelheit bewegt sich vor ihm in rauchigen Formationen.
    Er steigt eine Treppe hoch und gelangt in einen Korridor, in dem unter der Decke freiliegend Rohre verlaufen.
    Weit vor sich sieht er ein Tor. Lichtstrahlen fallen herein und blitzen auf dem feuchten Betonboden auf. Das Tor ist am Boden beschädigt, und es gelingt ihm, sich unter ihm hindurchzupressen. Plötzlich ist er im Freien. Er steht mitten auf einem Schotterhaufen neben etwa fünfzehn rostigen Gleisen, die sich weiter vorn wie ein Pferdeschwanz bündeln und sanft abbiegen.
    In der Ferne geht auf dem Bahndamm eine schlanke Gestalt. Sie hat einen Hund dabei. Joona läuft ihr hinterher. Ein U-Bahn-Zug donnert mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbei. Das Erdreich bebt. Während er weiter durch das Unkraut neben dem Bahndamm läuft, sieht er sie flüchtig zwischen den Wagen. Die Erde ist von Glasscherben, Müll und benutzten Kondomen übersät. Es surrt elektrisch, und von Skärmarbrink kommend nähert sich ein neuer Zug. Joona hat die hagere Gestalt fast erreicht, er springt über das Gleis, packt ihren schmalen Arm und dreht sie um. Sie erschreckt sich und versucht, ihn zu schlagen, aber er dreht das Gesicht weg, verliert dabei ihren Arm aus dem Griff, hält weiter die Jacke fest, aber sie schlägt wieder nach ihm, befreit sich aus der Jacke, verliert ihre Tasche und fällt rücklings auf den Kies.

108
    JOONA DRÜCKT DIE FRAU zwischen Disteln und verwelktem Wiesenkerbel auf den Bahndamm herab, packt ihre Hand, entwindet ihr einen Stein und versucht, sie zu beruhigen.
    »Ich will doch nur mit Ihnen reden, ich will …«
    »Lassen Sie mich los«, schreit sie und versucht, sich aus seinem Griff zu winden.
    Sie tritt, aber er klemmt ihre Beine fest und hält sie am Boden. Sie atmet wie ein ängstliches Kaninchen. Ihre kleinen Brüste heben sich mit den

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