Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Kartons unter der Laderampe schaut und anschließend weitergeht.
Dann stellt sie sich vor, dass Miranda mit ein paar Freunden vor einer Kirche Verstecken spielt.
Floras Herz schlägt schneller, als sie vor sich sieht, wie Miranda sich die Hände vors Gesicht hält und bis hundert zählt. Ein fünfjähriges Mädchen läuft zwischen den Grabsteinen davon und lacht aufgedreht, fast schon ein bisschen zu ängstlich.
Flora bleibt vor den Behältern für alte Tageszeitungen und Kartons stehen. Sie stellt ihre Plastiktüte mit leeren Plastikflaschen und Dosen ab, geht zu den großen Containern für Weißglas und leuchtet mit ihrer Taschenlampe hinein. Das Licht funkelt auf zerbrochenen und heilen Flaschen und blendet sie fast. Ganz hinten an der Seite entdeckt Flora eine Flasche, für die sie Pfandgeld bekommen kann. Sie streckt den Arm durch die Öffnung und tastet vorsichtig, ohne etwas sehen zu können. Ringsum herrscht vollkommene Stille. Flora streckt sich weiter hinein und spürt plötzlich eine Berührung. Sie fühlt sich an wie ein vorsichtigesStreicheln über ihren Handrücken, und in der nächsten Sekunde schneiden ihre Finger sich an einer Glasscherbe, so dass sie den Arm herausreißt und zurückweicht.
In der Ferne bellt ein Hund, und als Nächstes hört sie ein langsam knirschendes Geräusch zwischen dem Glas in dem großen Behälter.
Flora läuft von den Containern weg, geht ein Stück mit pochendem Herzen und heftigen Atemzügen. Die verletzten Finger brennen. Sie schaut sich um und hat das Gefühl, dass der Geist sich unter den Glasscherben verborgen hat.
Ich sehe das tote Mädchen als Kind, denkt sie. Miranda verfolgt mich, weil sie mir etwas zeigen will, sie lässt mich nicht in Frieden, weil ich und kein anderer sie mit meinen Séancen angelockt habe.
Flora saugt Blut von den Fingerspitzen und stellt sich vor, dass das Mädchen versucht hat, ihre Hand zu packen und festzuhalten.
»Jemand ist dort gewesen und hat alles gesehen«, zischt das Mädchen in ihrer Vorstellung. »Es durfte keine Zeugen geben, aber es gibt sie trotzdem …«
Flora geht wieder schneller, wirft einen Blick über die Schulter und schreit auf, als sie mit einem Mann zusammenstößt, der sie anlächelt und nur »hoppla« murmelt, als sie weitereilt.
113
JOONA TRITT RASCH DURCH DIE TÜR des Mietshauses in der Wollmar Yxkullsgatan 9. Er läuft die Treppen in die oberste Etage hinauf und klingelt an der einzigen Tür dort. Während er wartet, beruhigt sich sein Puls. In das festgeschraubte Messingschild ist der Name Horácˇková eingraviert, und auf einem Stück Klebeband darüber steht Lundhagen. Er klopft fest an, aber aus der Wohnung dringt kein Laut zu ihm heraus. Er öffnet den Briefeinwurf und schaut hinein. Es ist dunkel, aber er kann sehen, dass der Fußboden im Flur mit Post und Reklame übersät ist. Er klingelt noch einmal, wartet kurz und wählt dann Anjas Nummer.
»Könntest du bitte Informationen zu Tobias Horácˇková suchen?«
»Gibt es nicht«, antwortet sie nach wenigen Sekunden.
»Horácˇková in der Wollmar Yxkullsgatan 9.«
»Ja, Viktoriya Horácˇková«, sagt sie und tippt weiter.
»Gibt es einen Tobias Lundhagen?«, erkundigt sich Joona.
»Ich kann dir nur sagen, dass Viktoriya Horácˇková die Tochter eines tschechischen Diplomaten ist.«
»Gibt es einen Tobias Lundhagen?«
»Ja, er wohnt dort, entweder als Mitbewohner oder als Untermieter.«
»Danke.«
»Joona, warte«, sagt Anja schnell.
»Ja.«
»Drei kleine Details … du darfst die Wohnung eines Diplomaten nicht ohne Gerichtsbeschluss betreten …«
»Das war ein Detail«, sagt er.
»Du hast in fünfundzwanzig Minuten einen Termin mit den internen Ermittlern.«
»Ich habe keine Zeit.«
»Und um halb fünf hast du einen Termin bei Carlos.«
Joona sitzt vollkommen still und gerade auf einem Lehnstuhl in der obersten Dienstaufsichtsbehörde. Der Leiter der Abteilung für interne Ermittlungen verliest mit monotoner Stimme die Abschrift der ersten Vernehmung von Joona und übergibt ihm anschließend die Blätter, damit er sie gutheißt und unterschreibt.
Mikael Båge zieht die Nase hoch, übergibt die Blätter an Chefsekretärin Helene Fiorine und geht dazu über, das Protokoll der Zeugenvernehmung mit Göran Stone vom Staatsschutz zu verlesen.
Drei Stunden später geht Joona über die Kungsbron und danach die kurze Wegstrecke zum Landespolizeiamt. Er nimmt den Aufzug in die siebte Etage, klopft an die Tür von Carlos
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