Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Reisetasche zu schließen. Ein Fenster zum Innenhof steht auf Kippe, und die Kinder unten lassen gerade das Geburtstagskind hochleben.
»Das ist jetzt fast drei Jahre her.«
»Wie lange?«
»Sie hat hier nicht die ganze Zeit gewohnt, aber insgesamt waren es etwa sieben Monate«, antwortet Tobias Lundhagen.
»Wo hat sie denn sonst noch gewohnt?«
»Wer weiß …«
»Sie wissen es nicht?«
»Ich habe sie ein paar Mal rausgeworfen … also … Sie verstehen das nicht, sie war nur ein Kind, aber dieses Mädel kann in einem möblierten Zimmer verdammt anstrengend werden.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, das übliche … Drogen, Diebstähle und Selbstmordversuche«, sagt er und kratzt sich am Kopf. »Aber ich hätte nie gedacht, dass sie jemanden umbringen würde. Ich verfolge das Ganze in der Zeitung … ich meine, daraus ist ja eine Riesensache geworden.«
Tobias Lundhagen schaut auf die Uhr und begegnet anschließend dem ruhigen, grauen Blick des Kommissars.
»Warum?«, fragt Joona nach einer Weile.
»Was meinen Sie?«, sagt Tobias verlegen.
»Warum haben Sie Vicky hier wohnen lassen?«
»Ich hatte es als Kind auch nicht so leicht«, antwortet er mit einem Lächeln und versucht erneut, den Reißverschluss der Reisetasche auf dem Fußboden zuzuziehen.
Die große Tasche ist voller E-Book-Reader in eingeschweißten Originalverpackungen.
»Soll ich Ihnen helfen?«
Joona hält den Reißverschluss zusammen, während Tobias zieht und die Tasche schließt.
»Das hier tut mir leid«, sagt er und klopft auf die Tasche. »Aber ich schwöre Ihnen, das sind nicht meine Sachen, ich habe sie nur für einen Kumpel verwahrt.«
»Na dann«, sagt Joona.
Tobias Lundhagen lacht und spuckt dabei versehentlich ein Bonbon auf den Teppich. Er steht auf und schleppt die Tasche die Treppe zum Eingangsflur hinunter. Joona folgt ihm langsam zur Tür.
»Wie denkt Vicky? Wo versteckt sie sich?«, fragt er.
»Keine Ahnung – irgendwo.«
»Wem vertraut sie?«, fragt Joona.
»Niemandem«, antwortet er, öffnet die Wohnungstür und geht ins Treppenhaus hinaus.
»Vertraut sie Ihnen?«
»Das glaube ich nicht.«
»Dann besteht also keine Gefahr, dass sie hier auftaucht?«
Joona verweilt noch kurz in dem kleinen Wohnungsflur und öffnet lautlos das Schlüsselschränkchen an der Wand.
»Nein, aber vielleicht bei … nein, vergessen Sie das«, sagt Tobias Lundhagen und drückt auf den Aufzugknopf.
»Was wollten Sie sagen?«, fragt Joona und stöbert in den Schlüsseln.
»Jetzt habe ich es wirklich verdammt eilig.«
Joona nimmt vorsichtig die Ersatzschlüssel zur Wohnung vom Haken und steckt sie in die Tasche, ehe er die Wohnung verlässt, die Tür schließt und sich neben Tobias Lundhagen in den Aufzug stellt.
115
SIE STEIGEN AUS DEM AUFZUG und als sie das Haus verlassen, hören sie fröhliche Rufe vom Hof. Die Ballons an der Tür stoßen im Luftzug sanft gegeneinander. Sie treten auf den sonnenbeschienenen Bürgersteig hinaus. Tobias Lundhagen bleibt stehen, sieht Joona an und kratzt sich an der Augenbraue. Sein Blick geht die Straße hinunter.
»Sie wollten mir etwas darüber sagen, wohin Sie gehen könnte«, sagt Joona.
»Ich erinnere mich nicht einmal mehr an seinen Namen«, erklärt Tobias Lundhagen und beschattet seine Augen mit einer Hand. »Aber er ist der Stiefvater von Mickan, einem Mädchen, das ich kenne … und ich weiß, dass Vicky, bevor sie bei mir eingezogen ist, auf einer Bettcouch in seiner Wohnung am Mosebacke torg geschlafen hat … ich weiß wirklich nicht, warum ich Ihnen das erzähle.«
»Kennen Sie die Adresse?«
Tobias Lundhagen schüttelt den Kopf und stellt die schwere Tasche gerade hin.
»Es war das kleine weiße Haus gegenüber vom Theater.«
Joona sieht ihn mit dem schweren Diebesgut in der Tasche um die Straßenecke verschwinden und denkt darüber nach, mit dem Auto zum Mosebacke torg zu fahren und dort von Tür zu Tür zu gehen, aber gleichzeitig ist er von einer seltsamen inneren Unruhe erfüllt, so dass er sich nicht von der Stelle rührt. Urplötzlich friert er. Es ist schon Abend und lange her, dass er etwas gegessen oder geschlafen hat. Seine Kopfschmerzen machen es ihm immerschwerer, klar zu denken. Joona geht auf sein Auto zu, bleibt jedoch stehen, als er begreift, was hier nicht gestimmt hat.
Es ist nicht zu fassen, dass ihm das entgehen konnte, er muss wirklich sehr müde sein, wenn er das erst jetzt erkennt.
Vielleicht war es ein wenig zu selbstverständlich,
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