Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
sieht ihn an, doch bevor sie antworten kann, räuspert sich die Staatsanwältin.
»Ich muss Joona Linna bitten, das Zimmer zu verlassen«, sagt sie.
»Das haben Sie hiermit getan«, entgegnet Joona, ohne Vicky aus den Augen zu lassen.
»Sie haben mit diesem Ermittlungsverfahren nichts zu tun«, sagt Susanne Öst mit erhobener Stimme.
»Sie werden dir eine Menge Fragen stellen«, erklärt Joona Vicky.
»Ich möchte, dass Sie dabei sind«, sagt sie leise.
»Ich kann nicht«, erwidert Joona.
Vicky murmelt vor sich hin und schaut dann Susanne Öst an:
»Ich rede mit niemandem, wenn Joona nicht dabei ist«, sagt sie stur.
»Er kann bleiben, wenn er still ist«, entscheidet die Staatsanwältin.
Joona sieht Vicky an und versucht herauszufinden, wie man an sie herankommt.
Zwei Morde mit sich herumzuschleppen ist eine schwere Bürde.
Alle anderen in ihrem Alter wären längst zusammengebrochen, hätten geheult und alles gestanden, aber dieses Mädchen hat eine kristallisierte Oberfläche. Sie lässt niemanden wirklich an sich heran. Sie schmiedet schnelle Allianzen, bleibt aber selbst im Verborgenen und behält die Situation unter Kontrolle.
»Vicky Bennet«, beginnt die Staatsanwältin lächelnd. »Mein Name ist Susanne Öst, und ich werde mit dir sprechen, aber bevor wir anfangen, möchte ich dir sagen, dass ich alles aufnehme, was gesprochen wird, damit wir nichts vergessen … und damit ich nicht alles aufschreiben muss, was ich ganz schön finde, weil ich ziemlich faul bin …«
Vicky sieht sie nicht an und reagiert auch nicht auf ihre Worte. Susanne Öst wartet einen Moment, lächelt eisern weiter und referiert Uhrzeit, Datum und anwesende Personen.
»Das macht man so, bevor es richtig losgeht«, erläutert sie.
»Hast du verstanden, wer wir sind?«, fragt die zweite Frau. »Also ich heiße Signe Ridelman, ich bin dein Rechtsbeistand.«
»Signe ist hier, um dir zu helfen«, sagt die Staatsanwältin und fragt: »Weißt du, was ein Rechtsbeistand ist?«
Vicky nickt fast unmerklich.
»Ich benötige eine Antwort«, sagt Signe Ridelman geduldig.
»Ich verstehe es«, antwortet Vicky und grinst plötzlich breit.
»Was ist denn so komisch?«, fragt die Staatsanwältin.
»Das hier«, sagt Vicky, zieht langsam den schmalen Schlauch aus ihrer Armbeuge und betrachtet das dunkle Blut, das ihren blassen Arm herabläuft.
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DAS LEISE SCHARREN EINES VOGELS , der auf dem Fensterblech landet, ist in der Stille deutlich zu hören. Die Neonröhre an der Decke surrt schwach.
»Ich werde dich bitten, mir von gewissen Situationen zu erzählen«, sagt Susanne Öst. »Und ich möchte, dass du die Wahrheit sagst.«
»Und nichts als die Wahrheit«, flüstert Vicky mit gesenktem Blick.
»Vor neun Tagen … hast du mitten in der Nacht dein Zimmer im Haus Birgitta verlassen«, beginnt die Staatsanwältin, »erinnerst du dich?«
»Ich habe die Tage nicht gezählt«, sagt das Mädchen tonlos.
»Aber du erinnerst dich, dass du das Haus Birgitta mitten in der Nacht verlassen hast?«
»Ja.«
»Warum?«, fragt Susanne Öst. »Warum hast du mitten in der Nacht das Haus verlassen?«
Vicky zieht langsam an einem losen Faden des Verbands um ihre Hand.
»Hast du das vorher auch schon einmal getan?«, will Susanne Öst wissen.
»Was?«
»Mitten in der Nacht das Haus verlassen?«
»Nein«, antwortet Vicky gelangweilt.
»Warum hast du es dann in dieser Nacht getan?«
Als die Staatsanwältin darauf keine Antwort bekommt, lächelt sie nur geduldig und fragt dann in einem sanfteren Ton:
»Warum warst du mitten in der Nacht wach?«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Wenn wir noch ein paar Stunden zurückgehen – weißt du noch, was da passiert ist? Alle gingen ins Bett, aber du warst wach – was hast du getan?«
»Nichts.«
»Du hast nichts getan, bis du plötzlich, mitten in der Nacht das Haus Birgitta verlassen hast – findest du nicht auch, dass das ein bisschen seltsam klingt?«
»Nein.«
Vicky starrt aus dem Fenster. Es ist windig, und die Sonne verschwindet hinter Wolken, die am Himmel vorüberziehen.
»Ich möchte, dass du mir erzählst, warum du das Haus Birgitta verlassen hast«, sagt die Staatsanwältin mit nachdrücklicherem Ernst in der Stimme. »Ich werde erst Ruhe geben, wenn du mir erzählst hast, was passiert ist. Verstehst du?«
»Ich weiß nicht, was ich Ihrer Meinung nach erzählen soll«, antwortet Vicky leise.
»Du findest das vielleicht schwierig, aber du musst es mir trotzdem
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