Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Seite … ein Auto hielt und wir durften auf der Rückbank mitfahren … dieser Mann in dem Auto sah uns im Rückspiegel an und schaltete die Heizung ein und fragte uns, ob wir mitkommen und neue Kleider und etwas zu essen bekommenwollten … und wir wären bestimmt auch mitgegangen, wenn er uns im Spiegel nicht so angestarrt und gesagt hätte, dass wir auch ein bisschen Taschengeld bekommen würden … Aber als er zum Tanken hielt, haben wir uns lieber weggeschlichen und sind zu Fuß weiter … Ich weiß nicht, wie weit wir gekommen waren, aber auf einem Rastplatz an einem See parkte ein Lastwagen von IKEA und auf einem der Holztische dort fanden wir eine Thermoskanne und eine Plastiktüte mit einem echt großen Stapel Wurstbrote, aber bevor wir uns die Tüte nehmen können, kommt ein Typ um das Auto herum und fragt, ob wir hungrig sind … Er stammt aus Polen und wir dürfen bis Uppsala bei ihm mitfahren … Ich leihe mir sein Handy und rufe Mama an … Ein paar Mal denke ich, dass ich ihn umbringen werde, wenn er den Jungen anrührt, aber er lässt uns nur in Ruhe sitzen und schlafen … Er will nichts von uns. Er setzt uns einfach ab und wir fahren das letzte Stück bis Stockholm mit dem Zug, verstecken uns zwischen den Koffern … Ich habe den Schlüssel zur U-Bahn nicht mehr und kenne niemanden mehr, es ist so viel Zeit vergangen … Ich war mal einige Wochen bei einem Paar im Stadtteil Midsommarkransen, aber ich weiß nicht mehr, wie sie heißen, ich erinnere mich nur an Tobias, natürlich erinnere ich mich an ihn, ich weiß noch, dass er in der Wollmar Yxkullsgatan wohnt, dass ich immer bis zum Mariatorget gefahren bin und … ich bin so verdammt bescheuert, jemand wie ich sollte gar nicht leben.«
Sie verstummt, dreht das Gesicht ins Kissen und liegt still und atmet.
139
SAGA BLEIBT VOR DEM BETT STEHEN und betrachtet Vicky, die ganz ruhig auf dem Bauch liegt und mit dem Zeigefinger über das Seitengeländer des Betts streicht.
»Ich denke gerade an den Mann in dem Auto«, meint Saga. »Der wollte, dass ihr mit ihm kommt … Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mit dem Gefühl, dass er gefährlich sein könnte, richtiggelegen hast.«
Vicky setzt sich auf und schaut unverwandt in Sagas hellblaue Augen.
»Meinst du, dass du mir helfen könntest, ihn zu finden, wenn wir hiermit fertig sind?«
Vicky nickt und schluckt hart, senkt dann den Blick und schlingt die Arme fröstelnd um sich, sie sitzt ganz still. Es fällt einem schwer, sich vorzustellen, dass dieses zarte, hagere Mädchen zwei Menschen den Schädel einschlagen konnte.
»Bevor wir weitermachen, möchte ich nur sagen, dass es wirklich ein gutes Gefühl ist, wenn man die Wahrheit erzählt«, sagt Saga.
Wie im Boxring ist sie von kribbelnder Ruhe erfüllt. Sie weiß, dass sie einem vollständigen und wahrheitsgemäßen Geständnis sehr nahe ist. Sie spürt den Stimmungsumschwung im Zimmer, er liegt in den Stimmen, in der Wärme und den feuchten Augen. Saga tut, als schreibe sie etwas in ihren Collegeblock, und wartet noch ein wenig, ehe sie das Mädchen ansieht, als hätte es die Morde bereits gestanden.
»Du hast in den blutigen Decken geschlafen«, sagt Saga sanft.
»Ich habe Miranda umgebracht«, flüstert Vicky. »Oder?«
»Erzähl es mir.«
Vickys Mund zittert, und die Wunden in ihrem Gesicht verdunkeln sich, als sie errötet.
»Ich werde manchmal so schrecklich wütend«, sagt sie leise und bedeckt ihr Gesicht.
»Warst du wütend auf Miranda?«
»Ja.«
»Was hast du getan?«
»Ich will nicht darüber reden.«
Ihr Rechtsbeistand kann es nicht lassen, zu Vicky zu gehen.
»Du weißt, dass du nichts erzählen musst, nicht wahr?«, sagt sie.
»Ich muss nicht«, wiederholt Vicky an Saga gewandt.
»Die Vernehmung ist beendet«, sagt Susanne Öst mit Nachdruck.
»Danke«, wispert Vicky.
»Sie braucht Zeit, um sich zu erinnern«, sagt Saga.
»Aber wir haben ein Geständnis«, erwidert die Staatsanwältin.
»Ich weiß nicht«, murmelt Vicky.
»Du hast gestanden, dass du Miranda Ericsdotter getötet hast«, erklärt Susanne Öst mit erhobener Stimme.
»Schreien Sie mich nicht an«, sagt Vicky.
»Hast du sie geschlagen?«, setzt Susanne Öst sie unter Druck. »Du hast sie geschlagen, stimmt’s?«
»Ich will nicht mehr reden.«
»Diese Vernehmung ist beendet«, sagt Vickys Rechtsbeistand schneidend.
»Wie hast du Miranda geschlagen?«, beharrt die Staatsanwältin.
»Das spielt keine Rolle«, antwortet Vicky
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