Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
auf dem Betttuch verteilt wurde. Ebenfalls unerwähnt bleibt in dem Bericht, dass die Spuren der rückwärtigen Spritzer an den Wänden nach drei Schlägen den Winkel ändern.
Joona streckt die Hand aus, nimmt die Kaffeetasse, trinkt und studiert erneut die Fotos. Langsam blättert er den Stapel durch und betrachtet konzentriert jede einzelne Aufnahme. Danach wählt er zwei Fotos aus Vicky Bennets Zimmer aus, zwei aus dem Isolierzimmer, in dem Miranda Ericsdotter angetroffen wurde, und zwei aus der Waschküche, in der Elisabeth Grim gefunden wurde. Er räumt die Kaffeetasse und alles andere vom Tisch und legt anschließend die sechs Bilder auf die freie Fläche. Er stehtauf und versucht, sie alle gleichzeitig zu sehen, um neue, überraschende Muster zu erkennen.
Nach einer Weile dreht Joona alle Fotos außer einem um. Er mustert eingehend das letzte Bild und versucht, in seiner Erinnerung zu dem Zimmer zurückzukehren. Er versetzt sich in das Gefühl und in die Düfte. Auf der Fotografie sieht man Miranda Ericsdotters schmalen Körper. Sie liegt in einem weißen Baumwollslip auf dem Bett, beide Hände bedecken das Gesicht. Das Licht des Kamerablitzes lässt den Körper und das Laken weiß leuchten. Das Blut aus ihrem zertrümmerten Schädel sieht man als dunkle Fläche auf dem Kissen.
Plötzlich sieht Joona etwas, womit er nicht gerechnet hat.
Er weicht einen Schritt zurück, und die leere Kaffeetasse fällt zu Boden.
Die junge Frau mit dem Silberring in der Lippe schmunzelt.
Joona lehnt sich über das Foto von Miranda und denkt an seinen Besuch bei Flora Hansen. Er hatte sich geärgert, weil er bei ihr seine Zeit vergeudet hatte. Als er gehen wollte, war sie ihm in den Flur gefolgt, hatte wiederholt, sie habe Miranda wirklich gesehen und ihm mitgeteilt, sie habe den Geist gezeichnet. Sie hatte ihm die Zeichnung gezeigt, sie jedoch fallen gelassen, als er ihre Hand zur Seite schob. Das Blatt war lautlos auf dem Fußboden gelandet. Joonas Blick war auf die kindliche Zeichnung gefallen, als er über sie hinwegstieg und zur Tür hinausging.
Als er nun das Foto von Mirandas bewusst arrangiertem Körper betrachtet, versucht er, sich an Flora Hansens Zeichnung zu erinnern. Sie war in zwei Etappen entstanden. Anfangs gab es nur ein Strichmännchen und danach waren die Glieder flächig gezeichnet und ausgemalt worden. Das Mädchen auf der Zeichnung hatte an manchen Stellen zittrige Konturen, während andere Teile des Körpers fadendünn dargestellt waren. Der Kopf war überproportional groß. Der gerade Mund ließ sich nur erahnen, da das Mädchen sich seine unfertigen Skeletthände vor das Gesicht hielt. Die Zeichnung passte ziemlich gut zu dem, was die Boulevardblätter beschrieben hatten.
Dagegen wussten die Zeitungen nicht, dass jemand Miranda auf den Kopf geschlagen hatte und Blut aus dem Bett gelaufen war. Es waren keine Bilder vom Tatort freigegeben worden. Die Presse hatte über die Hände vor dem Gesicht berichtet, man hatte spekuliert, von den Kopfverletzungen jedoch nichts gewusst. Während der gesamten Ermittlungen bis zur Haftprüfungsverhandlung war eine strikte Nachrichtensperre verhängt worden.
»Ihnen ist etwas Wichtiges aufgefallen, stimmt’s?«, fragt die junge Frau im angrenzenden Raum.
Joona begegnet ihren leuchtenden Augen und nickt, ehe er den Blick erneut dem Farbfoto auf seinem Tisch zuwendet.
Als er Mirandas Körper auf dem Foto betrachtet hatte, war ihm klar geworden, dass Flora genau dort ein dunkles Herz am Kopf des Mädchens gezeichnet hatte, wo sich der dunkle Blutfleck auch in Wirklichkeit befunden hatte.
Dieselbe Größe, dieselbe Stelle.
Es kommt einem tatsächlich so vor, als hätte sie Miranda auf dem Bett gesehen.
Natürlich kann das auch ein Zufall sein, aber wenn er sich an Floras Zeichnung richtig erinnert, ist diese Übereinstimmung ziemlich frappierend.
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DIE GLOCKEN DER GUSTAV-VASA-KIRCHE LÄUTEN , als Joona sich vor Antiquitäten Carlén in der Upplandsgatan mit Flora trifft. Sie sieht erbärmlich aus, müde und blass. Auf ihrer Wange leuchtet ein großer, verblassender blauer Fleck. Ihre Augen sind matt und schwer. An einer schmalen Tür neben dem Antiquitätengeschäft hängt ein kleines Schild, auf dem zu lesen ist, dass dort ein spiritistischer Abend abgehalten wird.
»Haben Sie die Zeichnung dabei?«, fragt Joona.
»Ja«, antwortet sie und schließt die Tür auf.
Sie gehen die Treppe zu den Souterrainräumen hinunter. Flora schaltet wie gewohnt die
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