Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
zu haben und …«
»Ich weiß, dass …«
»Und wenn die Staatsanwältin Anklage erhebt, werden wir vordem Amtsgericht wahrscheinlich gewinnen, aber das bedeutet lediglich, dass man sie nicht zur Rechenschaft ziehen wird«, fährt er fort. »Vicky kann trotzdem schuldig sein.«
»Aber ich weiß, dass sie unschuldig ist«, entgegnet Elin, und ihr läuft ein Schauer über den Rücken, als sie begreift, wie naiv sich das in seinen Ohren anhören muss.
»Es ist mein Job, Sie zu warnen«, sagt der Anwalt behutsam.
»Aber selbst wenn Vicky in die Morde verwickelt sein sollte … ich finde, dass sie noch zu jung ist, um im Gefängnis zu sitzen«, versucht Elin zu erklären. »Johannes, ich kann ihr die beste Betreuung der Welt bieten, ich habe bereits Pflegepersonal eingestellt und darüber hinaus Daniel gebeten mitzukommen, weil sie sich in seiner Gegenwart sicher fühlt …«
»Das ist gut«, sagt er sanft.
»Wir werden sorgfältig darüber nachdenken müssen, was das Beste für sie ist, denn das ist das Einzige, was mich interessiert«, erklärt sie und nimmt seine Hände in ihre. »Vielleicht sollte Daniel mit seiner kognitiven Verhaltenstherapie weitermachen, vielleicht sollten wir einen anderen Therapeuten beauftragen? Jedenfalls werde ich sie nie wieder im Stich lassen, das kann ich nicht.«
153
WÄHREND SICH JOHANNES GRÜNEWALD im Presseraum des Landespolizeiamts den Journalisten stellt, verlassen Elin und Vicky Stockholm in einem Stadtjeep mit Allradantrieb.
Im geräumigen Wageninneren hängt der Duft von exklusiven italienischen Kleidern. Elins linke Hand ruht auf dem Lenkrad, und das bernsteinfarbene Licht des Armaturenbretts beleuchtet ihre Finger.
Aus den Boxen ertönt wie ein stilles Herbstmärchen Bachs erste Cellosuite.
Die acht Spuren der Autobahn verlaufen zwischen dem Hagapark, in dem die Kronprinzessin in ihrem Schloss wohnt, und dem riesigen Friedhof, auf dem August Palm, der Begründer der schwedischen Sozialdemokratie, beerdigt liegt.
Elin wirft einen kurzen Blick auf Vickys ruhiges Gesicht und lächelt in sich hinein.
Um aufdringlichen Medien aus dem Weg zu gehen, hat sie beschlossen, die Zeit bis zur Verhandlung in ihrem Domizil in den Bergen zu verbringen. Es handelt sich um ein vierhundert Quadratmeter großes Haus am Hang des Tegelfjäll kurz vor dem Wintersportort Duved im Norden des Landes.
Elin hat alles so organisiert, dass Vicky rund um die Uhr betreut wird. Bella ist schon im Haus, Daniel folgt ihr in seinem eigenen Auto, und die Krankenschwester kommt am nächsten Tag.
Vicky hat sich im Krankenhaus gewaschen, und ihre Haareriechen nach billigem Shampoo. Elin hat ihr eine Reihe von Jeans und Pullovern, Unterwäsche, Strümpfe, Turnschuhe und eine winddichte Jacke gekauft. Vicky trägt jetzt eine schwarze Jeans von Armani und einen unförmigen grauen Pullover von Gant. Die restlichen Kleider liegen in ihren Tüten auf der Rückbank.
»Woran denkst du?«, fragt Elin.
Vicky antwortet nicht. Sie starrt nur auf die Straße. Elin stellt die Musik ein wenig leiser.
»Man wird dich ohne Wenn und Aber freisprechen«, sagt Elin. »Das weiß ich, da bin ich mir vollkommen sicher.«
Sie lassen die Vororte hinter sich und fahren zwischen Feldern und Wäldern hindurch.
Elin bietet Vicky Schokolade an, aber sie schüttelt nur kurz den Kopf.
Vicky sieht an diesem Tag etwas besser aus. Ihr Gesicht hat eine frischere Farbe bekommen, die Pflaster sind entfernt worden, nur der Verband um den gebrochenen Daumen ist geblieben.
»Ich bin wirklich froh, dass Daniel mitkommen kann«, sagt Elin.
»Er ist gut«, flüstert Vicky.
Daniel fährt in seinem eigenen Wagen und befindet sich irgendwo vor ihnen. Elin hat seinen goldfarbenen Kombi auf der Ausfallstraße aus der Stadt noch gesehen, ist dann aber zurückgefallen.
»Ist er besser als die Therapeuten, mit denen du früher zu tun hattest?«, fragt sie.
»Ja.«
Elin stellt die Musik noch etwas leiser.
»Dann willst du, dass er weiter mit dir arbeitet?«
»Wenn ich muss.«
»Ich denke, es könnte dir guttun, noch eine Weile eine Therapie zu machen.«
»Dann möchte ich Daniel haben.«
Je weiter sie nach Norden fahren, desto herbstlicher wird die Landschaft, als wechselten die Jahreszeiten in schneller Folge. Die grünen Blätter werden gelb und rot. Sie fallen wie leuchtende Seen um die Stämme der Bäume und wirbeln über die Fahrbahn.
»Ich brauche meine Sachen«, sagt Vicky plötzlich.
»Was denn für Sachen?«
»Mein
Weitere Kostenlose Bücher