Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
lauscht. Aus den Fenstern fällt Licht auf die gelben Blätter der Birken.
Vor ihr ist leises Murmeln zu hören. Vicky fragt sich, ob da jemand in der Dunkelheit ist. Leise folgt sie dem Weg. Am Hausgiebel stehen verblühte Sonnenblumen.
Der Ballon rollt unter einem Volleyballnetz hindurch und bleibt an der Fichtenhecke hängen.
»Vicky?«, flüstert eine Stimme.
Sie dreht sich hastig um, sieht aber nichts.
Ihr Puls schlägt schneller, Adrenalin wird ausgeschüttet, und alle Sinne sind plötzlich geschärft.
Die Federn der Hollywoodschaukel knirschen und schaukeln langsam. Auf dem Dach dreht sich die alte Wetterfahne.
»Vicky!«, sagt eine schneidende Stimme ganz nahe.
Sie dreht sich nach rechts und starrt mit pochendem Herzen in die Dunkelheit hinein. Es dauert einige Sekunden bis sie das schmale Gesicht erkennt. Es ist Tuula. Wie sie so zwischen den Fliedersträuchern steht, ist sie fast unsichtbar. In ihrer rechten Hand hält sie einen Baseballschläger. Er ist schwer und so lang, dass er auf der Erde ruht. Tuula befeuchtet ihre Lippen und starrt Vicky mit rot unterlaufenen Augen an.
Elin lehnt sich gegen das Geländer der Veranda und versucht zu sehen, ob Vicky noch im Auto sitzt, aber es ist zu dunkel. Solveig ist zu ihnen zurückgekehrt, nachdem sie Caroline um Hilfe gebeten hat. Daniel spricht mit ihr. Er versucht, ihr zu erklären, dass Almira therapiebedürftig ist und häufig negativ auf, stärkere Antidepressiva reagiert. Er bittet ein weiteres Mal darum, hineingehen zu dürfen, aber Solveig erklärt, dass sie jetzt die Verantwortung für die Mädchen trägt. Die Haustür geht auf und Caroline tritt auf die Veranda hinaus. Sie umarmt Daniel und begrüßt Elin.
»Ich habe Vickys Sachen zusammengepackt«, sagt sie.
»Ist Tuula im Haus?«, fragt Elin mit angespannter Stimme.
»Ja, ich denke schon«, antwortet Caroline ein wenig erstaunt. »Soll ich sie holen?«
»Tu das, bitte«, sagt Elin und versucht, ruhig auszusehen.
Caroline geht ins Haus und ruft nach Tuula. Solveig mustert Elin und Daniel mit missgünstigen Augen.
»Wenn Sie Hunger haben, kann ich eines der Mädchen bitten, Ihnen ein paar Äpfel zu holen«, sagt sie.
Elin erwidert nichts. Stattdessen geht sie die Treppe hinunter und in den Garten. Hinter sich hört sie die Mädchen nach Tuula rufen.
Wenn man das Meer nicht mehr sieht, ist es dunkler. Bäume und Sträucher schirmen fast das gesamte Licht ab.
Die Hollywoodschaukel schwingt quietschend hin und her.
Elin versucht, leise zu atmen, aber ihre Absätze sind auf den Platten des Gartenwegs nicht zu überhören, als sie um die Ecke läuft.
Die Blätter des großen Fliederstrauchs rascheln auf einmal. Es hört sich an, als wäre ein Hase aufgeschreckt worden. Die Äste bewegen sich und plötzlich steht Elin direkt vor Vicky.
»Mein Gott«, keucht Elin.
Die beiden sehen sich an. Das Gesicht des Mädchens wirkt in dem schwachen Licht sehr blass. Elins Herz pocht so sehr, dass es in den Ohren pulsiert.
»Wir gehen zum Auto«, sagt sie und entfernt sich mit Vicky vom Haus.
Sie schaut über die Schulter, hält Abstand zu den dunklen Bäumen, hört schnelle Schritte hinter sich, verlässt aber unbeirrt mit Vicky den Garten. Erst auf dem Kiesweg dreht sie sich um und sieht, dass es Caroline ist, die ihnen mit einer großen Plastiktüte in der Hand hinterher eilt.
»Tuula habe ich nicht gefunden«, sagt sie.
»Trotzdem danke«, sagt Elin.
Vicky nimmt die Tüte an und schaut hinein.
»Das meiste müsste noch da sein, auch wenn Lu Chu und Almira um deine Ohrringe pokern wollten«, sagt Caroline.
Als Elin und Vicky in dem großen schwarzen Wagen davonfahren, bleibt Caroline stehen und sieht ihnen mit traurigem Gesicht hinterher.
155
AUF DER EUROPASTRAßE 14 kann Elin Daniels Auto die ganze Zeit im Rückspiegel sehen. Es fahren kaum Autos, nur einzelne Lastzüge, aber sie brauchen trotzdem drei Stunden, bis sie die Skiorte erreichen. In der Dunkelheit entlang der Berghänge sieht man stillstehende Schlepplifte und die hohen Masten von Åres großer Kabinenbahn. Sechs Kilometer vor Duved biegen sie in eine Straße ein, die geradewegs in die Berge hinaufführt. Laub und Kies wirbeln im Licht der Scheinwerfer auf. Die schmale Schotterpiste führt schräg das Tegefjäll hinauf.
Sie bremsen und fahren von der Straße nach Tegefors ab und zwischen zwei Torpfosten hindurch und rollen die letzten Meter zu einem großen, modernistischen Haus hinauf. Es ist aus Beton gegossen, hat
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