Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
hereinruft, wird ihr endgültig klar, dass sie die Stufe des Verdachtsgrads senken müssen wird, wenn Vicky für die Morde überhaupt in Haft genommen werden soll.
Elin versucht, Vickys Blick zu begegnen, aber das Mädchen hält immer noch den Kopf gesenkt.
Johannes Grünewald stellt Daniel Grim mit warmer Stimme vor und berichtet über seine vielen Jahre als Therapeut im Haus Birgitta und in anderen Einrichtungen. Zum ersten Mal schaut Vicky auf und versucht, Daniels Blick zu begegnen, aber der starrt nur mit fest zusammengepressten Lippen vor sich hin.
»Herr Grim«, sagt Johannes Grünewald. »Ich möchte Sie fragen, wie gut Sie Vicky Bennet Ihrer Meinung nach kennen.«
»Kennen«, wiederholt Daniel fragend. »Nein, das …«
Er verstummt, und Vicky beginnt, sich an einer der schorfigen Wunden auf ihrem Arm zu kratzen.
»Gibt es einen Psychologen oder Therapeuten, der sie besser kennt als Sie?«
»Nein«, sagt Daniel leise.
»Nicht?«
»Nein, ich meine … das lässt sich natürlich schlecht messen, aber ich glaube, ich habe mehr Gespräche mit ihr geführt als jeder andere.«
»Liegt Ihr letztes Gespräch lange zurück?«
»Nein.«
»Bis zu ihrer Flucht hatte sie jede Woche eine Stunde kognitiver Therapie bei Ihnen, trifft das zu?«, sagt Johannes Grünewald.
»Das ist richtig … außerdem habe ich sie bei All Day Lifestyle betreut.«
»Das ist ein Alltagstraining und erster Schritt, um zu einem normalen Leben in der Gesellschaft zurückzukehren«, erklärt Johannes Grünewald an den Richter gewandt.
»Ein großer Schritt«, bestätigt Daniel.
Der Anwalt wird nachdenklich, betrachtet Daniel eine Weile und sagt dann ernst:
»Ich werde Ihnen jetzt eine schwierige Frage stellen.«
»Okay.«
»Es heißt, dass viele Indizien darauf hindeuten, dass Vicky Bennet in den Mord an Ihrer Ehefrau verwickelt gewesen ist.«
Daniel nickt fast unmerklich, und die Stimmung in dem nüchternen Raum ist bedrückt.
Elin versucht, Daniels Blick zu lesen, aber er sieht sie nicht an. Vickys Augen sind rot unterlaufen, als kämpfte sie gegen Tränen an.
Der Anwalt steht mit unverändert ruhiger Miene vor Daniel und lässt ihn nicht aus den Augen.
»Sie sind Vicky Bennets Therapeut«, sagt er. »Glauben Sie, dass dieses Mädchen Ihre Frau ermordet hat?«
Daniel Grim blickt auf, sein Mund ist kreidebleich, und seine Hand zittert so stark, dass er die Brille verschiebt, als er versucht, Tränen fortzustreichen.
»Ich habe das nicht mit Kollegen diskutiert. Dazu fehlte mir bislang die Kraft«, sagt er schwach. »Aber meiner Einschätzung nach … also ich kann einfach nicht glauben, dass Vicky Bennet das getan haben soll.«
»Wie kommen Sie zu dieser Beurteilung?«
»Vicky hat auf die Therapie und die Medikamente gut angesprochen«, fährt Daniel fort. »Aber vor allem, man lernt die Menschen ja kennen, mit denen man … Sie hat keine Gewaltfantasien und ist nicht gewalttätig, jedenfalls nicht in dieser Weise.«
»Danke«, sagt Johannes Grünewald ruhig.
151
NACH DER MITTAGSPAUSE nehmen wieder alle im Gerichtssaal Platz. Johannes Grünewald kommt als Letzter herein. Er hält sein Handy in der Hand. Der Richter wartet, bis Ruhe eingekehrt ist, und fasst den ersten Teil der Verhandlung zusammen:
»Die Staatsanwältin hat den Verdachtsgrad für die beiden Mordfälle auf die zweitunterste Stufe gesenkt, beantragt jedoch nach wie vor, die Verdächtige wegen des dringenden Tatverdachts in einem Fall von Menschenraub in Haft zu nehmen.«
»Ja, denn wir können nicht darüber hinwegsehen, dass Vicky Bennet Dante Abrahamsson gekidnappt und den kleinen Jungen eine gute Woche in ihrer Gewalt gehabt hat«, sagt Susanne Öst verbissen.
»Ein Punkt nur«, sagt Johannes Grünewald.
»Ja?«, fragt der Richter.
Die Tür geht auf, und Joona Linna betritt den Raum. Sein Gesicht ist ernst, und seine lockigen blonden Haare stehen vom Kopf ab. Eine Frau und ein kleiner Junge mit Brille folgen ihm, bleiben jedoch an der Tür stehen.
»Joona Linna«, stellt der Anwalt ihn vor.
»Das weiß ich«, sagt der Richter und lehnt sich interessiert vor.
»Hier sind die Onkel, von denen ich gesprochen habe«, sagt Joona zu dem Jungen, der sich hinter den Beinen der Frau versteckt hat.
»Die sehen aber gar nicht so aus wie Trolle«, flüstert der Junge lächelnd.
»Findest du nicht? Na, schau dir doch den mal an«, sagt Joona und zeigt auf den Richter.
Der Junge schüttelt lachend den Kopf.
»Sagt Hallo zu Dante und seiner
Weitere Kostenlose Bücher