Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
bei der Landeskriminalpolizei.«
Der Mann mustert blinzelnd Joonas Dienstausweis und kann sich ein kurzes, eigentümliches Lächeln nicht verkneifen.
»Landeskriminalpolizei«, sagt er leise und bittet Joona und Flora mit einer schwachen Geste einzutreten. »Kommen Sie herein, dann trinken wir einen Kaffee.«
Sie setzen sich an den Küchentisch, während Torkel zum Herd geht, nachdem er an Flora gewandt erklärt hat, dass er ihr leider keine Kekse anbieten könne. Er spricht sehr leise und scheint fast taub zu sein.
An der Wand tickt laut eine Uhr, und über der Küchenbankhängt ein dunkel glänzender Elchstutzen, eine gepflegte Remington. Der gestickte Wandschmuck mit den Worten »Genügsamkeit ist jedes trauten Heimes Glück« hat sich von den Heftzwecken gelöst und hängt dort mit umgeknickten Ecken wie eine schmutzige Postkarte aus einem anderen Schweden.
Der Mann kratzt sich am Kinn und sieht Joona im Zwielicht der Küche an.
Als das Wasser kocht, stellt Torkel Ekholm drei Tassen und ein Glas Instantkaffee auf den Tisch.
»Man wird ein bisschen faul«, sagt er mit einem Schulterzucken, als er Flora den Teelöffel reicht.
»Ich bin hier, um Sie nach einem sehr alten Fall zu fragen«, sagt Joona. »Vor sechsunddreißig Jahren wurde an der Kirche von Delsbo ein Mädchen tot aufgefunden.«
»Ja«, erwidert der alte Mann, ohne Joonas Blick zu begegnen.
»Ein Unfall?«, fragt Joona.
»Ja«, antwortet der Mann verbissen.
»Das glaube ich aber nicht«, sagt Joona.
»Es freut mich, das zu hören«, erwidert der Greis.
Sein Mund beginnt zu zittern, und er stupst die Schale mit Würfelzucker zu dem Kommissar hinüber.
»Sie erinnern sich an den Fall?«, fragt Joona.
Der Löffel klirrt, als der alte Polizist Kaffeepulver in seine Tasse gibt und umrührt. Als er wieder aufschaut und Joonas Blick begegnet, sind seine Augen rot unterlaufen:
»Ich wünschte, ich könnte ihn vergessen, aber manche Fälle …«
Torkel Ekholm steht auf, geht zu einer dunklen Kommode an der Wand und schließt die oberste Schublade auf. Er erklärt mit gebrochener Stimme, dass er seine Aufzeichnungen zu dem Fall all die Jahre über aufbewahrt hat.
»Ich wusste doch, dass ihr irgendwann wieder zu mir kommen müsst«, sagt er so leise, dass man es kaum hört.
162
IN DER KLEINEN KÜCHE surrt eine schwere Herbstfliege gegen die Fensterscheibe. Torkel nickt zu den Papieren hin, die vor ihnen auf dem Tisch liegen.
»Das tote Mädchen hieß Ylva, sie war die Tochter des Vorarbeiters auf Rånne … Als ich hinkam, hatte man sie schon auf ein Laken gelegt … Sie sei vom Kirchturm gefallen, sagte man mir …«
Der alte Polizist lehnt sich so weit auf seinem Stuhl zurück, dass das Holz knarrt:
»Auf dem Fries des Turms war Blut … Sie zeigten es mir, und ich schaute es mir an, aber ich sah natürlich gleich, dass da etwas nicht stimmte.«
»Warum haben Sie die Ermittlungen eingestellt?«
»Es gab keine Zeugen, ich hatte nichts. Ich stellte Fragen, kam aber nicht voran. Mir wurde untersagt, die Herrschaften auf Rånne noch weiter zu belästigen. Sie gaben dem Vorarbeiter frei und … es war … Ich habe ein Bild, das Janne gemacht hat, er arbeitete für die Zeitung Arbetarbladet und fotografierte gelegentlich die Tatorte für uns.«
Der alte Polizist zeigt ihnen eine Schwarzweißaufnahme. Auf einem Laken im Gras liegt ein kleines Mädchen mit offenen Haaren. Neben ihrem Kopf sieht man einen schwarzen Blutfleck genau wie auf Mirandas Bett, an der gleichen Stelle.
Der Fleck hat fast die Form eines Herzens.
Das Gesicht des kleinen Mädchens ist weich, seine Wangen sind kindlich rund, und der Mund ist wie bei einer Schlafenden.
Flora starrt das Bild an, tastet sich mit der Hand übers Haar und wird leichenblass.
»Ich habe nichts gesehen«, wimmert sie und beginnt, mit offenem Mund zu weinen.
Joona legt das Foto weg und versucht, Flora zu beruhigen, aber sie steht auf und nimmt Torkel das Bild ab. Sie wischt die Tränen von den Wangen und starrt das Bild an, stützt sich mit der Hand auf die Spüle und merkt nicht, dass sie eine leere Bierflasche ins Spülbecken fegt.
»Wir haben ›Augen zu‹ gespielt«, sagt sie gedämpft.
»Augen zu?«
»Wir sollten die Augen zumachen und uns die Hände vors Gesicht halten.«
»Aber Sie haben geguckt, Flora«, sagt Joona. »Sie haben gesehen, wer das kleine Mädchen mit einem Stein schlug.«
»Nein, ich habe die Augen zugemacht … ich …«
»Wer hat sie
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