Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
Vom Netzwerk:
geschlagen?«
    »Was haben Sie gesehen?«, fragt Torkel.
    »Die kleine Ylva … sie sah so fröhlich aus, hielt sich die Augen mit den Händen zu und dann schlug er …«
    »Wer?«, fragt Joona.
    »Mein Bruder«, flüstert sie.
    »Sie haben keinen Bruder«, widerspricht Joona.
    Torkel zittert so, dass seine Kaffeetasse auf der Untertasse umkippt.
    »Der Junge«, murmelt er. »Es war doch wohl nicht der Junge?«
    »Welcher Junge?«, fragt Joona.
    Floras Gesicht ist kreideweiß, Tränen laufen ihre Wangen herab. Der alte Polizist reißt Papier von der Küchenrolle ab und erhebt sich schwerfällig von seinem Stuhl. Joona sieht, wie Flora den Kopf schüttelt, aber ihr Mund bewegt sich ein wenig.
    »Was haben Sie gesehen?«, fragt Joona. »Flora?«
    Torkel nähert sich Flora und gibt ihr das Papier.
    »Sind Sie etwa die kleine Flora? Die stille kleine Schwester?«, fragt er behutsam.

163
    DIE FRÜHE KINDHEITSERINNERUNG kommt in Flora hoch, als sie mit einer Hand auf der Spüle in der Küche des alten Polizisten steht. Als ihr wieder einfällt, was sie damals sah, hat sie das Gefühl, ihre Beine könnten jeden Moment nachgeben.
    Die Sonne spielte auf dem Gras neben der Kirche. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht. Das Licht schien zwischen ihren Fingern hindurch und verlieh den beiden Menschen orangefarbene Ränder.
    »Großer Gott«, wimmert sie und sinkt zu Boden. »Großer Gott …«
    In dem flammenden Licht erinnert sie sich, dass sie ihren Bruder mit einem Stein auf das kleine Mädchen einschlagen sah.
    Die Erinnerungsbilder sind so greifbar, als stünden die Kinder in der Küche.
    Sie hört den dumpfen Knall und sieht Ylvas Kopf erzittern.
    Flora entsinnt sich, wie das Mädchen ins Gras fiel. Ihr Mund öffnete und schloss sich, die Lider zuckten, sie murmelte verwirrte Worte, und er schlug wieder zu.
    Er schlug so fest, wie er nur konnte, und schrie, dass sie die Augen zumachen sollten. Ylva wurde still, und er legte ihre Hände auf das Gesicht und wiederholte, dass sie die Augen schließen solle.
    »Aber ich habe meine Augen nicht zugemacht …«
    »Sind Sie Flora?«, fragt der alte Polizist ein zweites Mal.
    Zwischen ihren Fingern hindurch sah Flora, dass ihr Bruder sich mit dem Stein in der Hand aufrichtete. Vollkommen ruhig sagte er, Flora solle die Augen schließen, dass sie das Augen-zu-Spiel spielen wollten. Er näherte sich ihr von der Seite und hob den blutigen Stein. Als er zuschlug, schreckte sie zurück. Der Stein schürfte ihre Wange auf und stieß schwer gegen ihre Schulter. Sie fiel auf die Knie, rappelte sich aber auf und lief los.
    »Sind Sie die kleine Flora, die auf Rånne wohnte?«
    »Ich erinnere mich an fast nichts«, antwortet sie.
    »Wer ist ihr Bruder?«, fragt Joona.
    »Die Leute nannten sie die Heimkinder, obwohl die vornehmen Herrschaften sie adoptiert hatten«, erzählt der alte Polizist.
    »Heißen Sie Rånne?«
    »Holzbaron Rånne … aber wir nannten sie immer nur die Herrschaften«, antwortet Torkel Ekholm. »Es stand sogar in der Zeitung, als sie zwei Kinder adoptierten, eine edle und barmherzige Tat, schrieben sie … aber nach dem Unfall gaben sie das Mädchen weg … Nur der Junge blieb bei ihnen.«
    »Daniel«, sagt Flora. »Er heißt Daniel.«
    Als Joona vom Tisch aufsteht und wortlos das Haus verlässt, scharrt der Stuhl über den Boden. Mit dem Handy am Ohr läuft er durch den Garten, in dem zwischen gelben Blättern Fallobst unter den Bäumen liegt, zu seinem Auto.
    »Anja, hör zu, du muss mir helfen, es ist dringend«, sagt Joona und setzt sich auf den Fahrersitz. »Recherchier doch bitte mal, ob es eine Verbindung zwischen Daniel Grim und einer Familie namens Rånne in Delsbo gibt.«
    Joona hat gerade erst das Funkgerät des Wagens eingeschaltet, um die Landeseinsatzzentrale anzurufen, als Anja ihm auch schon antwortet.
    »Ja, es sind seine Eltern.«
    »Finde alles über ihn heraus«, sagt Joona.
    »Worum geht es?«
    »Mädchen«, antwortet Joona.
    Er beendet das Gespräch, und noch bevor er die Polizei alarmiert, wählt er hastig Elin Franks Nummer.

164
    ELIN FÄHRT VORSICHTIG die steile Schotterpiste Richtung Åre hinunter, um Vickys Krankenschwester zu holen. Ein Seitenfenster steht offen, und frische Luft strömt ins Wageninnere. Der länglich schmale See schimmert dunkel. Die Berge liegen nebeneinander wie gigantische Wikingergräber, sanft gewölbt und bewachsen.
    Sie denkt daran, dass Vicky ihre Hand genommen und gedrückt hat. Die Dinge wenden sich

Weitere Kostenlose Bücher