Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Tochter des Vorarbeiters, die tot unter dem Glockenturm gefunden wurde, und von dem Schweigen, das in Delsbo um sich griff.
»Ich war damals noch so klein«, sagt Flora. »Ich habe nicht geglaubt, dass es Erinnerungen waren, ich dachte, diese Kinder wären Fantasievorstellungen …«
Flora erinnert sich, dass sie glaubte, allmählich wahnsinnig zu werden, nachdem sie von den Morden im Haus Birgitta gehört hatte. Immer wieder musste sie daran denken, was dort geschehen war, an das Mädchen, das sein Gesicht hinter den Händen verbarg. Sie träumte von ihr und sah sie überall.
»Aber Sie waren da«, sagt er.
»Ich versuchte zu erzählen, was Daniel getan hatte, aber alle wurden nur furchtbar wütend auf mich … Als ich sagte, was passiert war, nahm Vater mich in sein Büro mit und meinte, dass alle Lügner in einem See aus Feuer brennen werden.«
»Endlich habe ich meine Zeugin gefunden«, sagt der alte Polizist ruhig.
Flora entsinnt sich, wie sehr sie sich davor fürchtete zu verbrennen, und dass ihre Haare und Kleider Feuer fangen würden. Sie glaubte, dass ihr ganzer Körper schwarz und trocken wie das Brennholz im Kamin werden würde, wenn sie erzählte, was Daniel getan hatte.
Torkel wischt mit der Hand bedächtig Krümel vom Tisch.
»Was ist mit dem Mädchen passiert?«, fragt er.
»Ich weiß, dass Daniel Ylva mochte … er wollte immer ihre Hand halten, schenkte ihr Himbeeren …«
Sie verstummt und sieht erneut die seltsamen gelben Erinnerungsfetzen schimmern, als würden sie gerade Feuer fangen.
»Wir haben Augen zu gespielt«, fährt sie fort. »Als Ylva die Augen schloss, küsste er sie auf den Mund … sie machte die Augen auf, lachte und sagte, jetzt würde sie ein Kind bekommen. Ich lachte, aber Daniel wurde … er meinte, dass wir nicht gucken dürften … und ich hörte, dass seine Stimme ganz seltsam klang. Ich habe zwischen den Fingern hindurchgespinkst, wie ich es immer machte, und sah, dass Daniel einen Stein aufhob und sie schlug und schlug …«
Torkel seufzt schwer und legt sich auf die schmale Küchenbank:
»Ich sehe Daniel manchmal, wenn er auf Rånne zu Besuch ist …«
Als der alte Polizist eingeschlafen ist, geht Flora zu ihm, hebt vorsichtig den Elchstutzen von der Wand und verlässt das Haus.
175
FLORA GEHT MIT DEM SCHWEREN GEWEHR im Arm die schmale Allee zum Gutshof Rånne hinauf. In den gelblich verfärbten Baumwipfeln sitzen schwarze Vögel.
Es kommt ihr so vor, als ginge Ylva neben ihr. Sie erinnert sich, dass sie hier mit Daniel herumlief.
Flora dachte, es wäre ein Traum gewesen. Das schöne Haus, in das sie kommen durften, mit eigenen Schlafzimmern und geblümten Tapeten. Sie weiß jetzt wieder alles. Die Erinnerungen sind aus der Tiefe aufgestiegen, sie sind in der schwarzen Erde begraben gewesen, stehen ihr nun jedoch wieder klar und deutlich vor Augen.
Der alte Hof mit seinem Kopfsteinpflaster hat sich kaum verändert. In der Garageneinfahrt stehen einige glänzende Autos. Sie geht die große Eingangstreppe hinauf, öffnet die Tür und tritt ein.
Es ist ein seltsames Gefühl, sich mit einer geladenen Waffe in den Händen durch das vertraute Haus zu bewegen.
Unter riesigen Kronleuchtern, über dunkle, persische Teppiche zu gehen.
Noch hat sie keiner gesehen, aber aus dem Esszimmer dringen gedämpfte Stimmen zu ihr hinaus.
Sie durchquert die vier hintereinanderliegenden Salons und sieht bereits von Weitem, dass sie am Tisch sitzen.
Sie ändert den Griff, legt den Lauf der Waffe in die Armbeuge, umfasst den Kolben und platziert den Finger auf dem Abzug.
Ihre frühere Familie speist, macht Konversation und schaut nicht in ihre Richtung.
In hohen Vasen in den Fensternischen stehen frische Schnittblumen. Sie erahnt aus den Augenwinkeln eine Bewegung, fährt mit erhobener Waffe herum und sieht ihr eigenes Spiegelbild. Da steht sie in einem riesigen, unebenen Spiegel, der vom Boden bis zur Decke geht und zielt auf sich selbst. Ihr Gesicht ist fast grau und der Blick roh und wüst.
Das Gewehr nach vorn gerichtet, geht sie durch den letzten Salon und betritt das Esszimmer.
Der Tisch ist mit Erntegaben geschmückt: kleine Weizengarben, Traubenrispen, Pflaumen und Kirschen.
Flora fällt ein, dass es der Tag des Dankfests ist.
Die Frau, die einmal ihre Mutter war, sieht hager und kläglich aus. Sie isst langsam und zitternd, mit einer auseinandergefalteten Serviette im Schoß.
Zwischen den Eltern sitzt ein Mann in ihrem Alter. Sie erkennt ihn
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