Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
und atmet durch die Nase. »Sie ist völlig durcheinander und spricht von einem aus dem Wald kommenden Skelett, von dessen Händen Fäden herabhängen. Ein Mädchen mit Blut im Gesicht, ein Mädchen, dessen Arme Äste waren …«
»Aber sie spricht von einem Mädchen?«
»Ja, ich habe ihre Zeugenaussage aufgenommen, aber sie sagt nur seltsame Dinge, sie muss sich erst beruhigen, vorher können wir sie nicht wirklich vernehmen …«
»Aber sie bleibt dabei, dass es ein Mädchen war?«, fragt Gunnarsson langsam.
»Ja … das hat sie mehrfach wiederholt.«
29
JOONA HÄLT AN DER STRAßENSPERRE auf der Landstraße 330, grüßt einen der dort postierten Beamten, weist sich aus und fährt anschließend parallel zum Inlandsälven weiter.
Man hat ihn davon unterrichtet, dass die Bewohnerinnen von Haus Birgitta vorübergehend im Hotel Ibis untergebracht worden sind. Der Therapeut Daniel Grim ist in der psychiatrischen Notfallstation des Regionalkrankenhauses aufgenommen worden, die Hausverwalterin Margot Lundin ist zu Hause in Timrå, und Faduumo Axmed, die im Haus Birgitta halbtags als Sozialpädagogin arbeitet, hat Urlaub und hält sich bei ihren Eltern in Vänersborg auf.
Als Polizeimeisterin Mirja Zlatnek berichtete, dass Pia Abrahamsson mehrfach darauf zurückkam, ein schlankes Mädchen mit Bandagen um die Handgelenke gesehen zu haben, war allen Beteiligten klar, dass Vicky Bennet den Wagen mit dem kleinen Jungen genommen haben musste.
»Aber es ist und bleibt ein Mysterium, dass sie an den Straßensperren nicht gestoppt werden konnte«, hatte Bosse Norling bemerkt.
Ein Hubschrauber wurde eingesetzt, konnte das Auto aber nirgendwo entdecken, nicht in der kleinen Ortschaft und auch nicht auf einem der Forstwirtschaftswege.
Eigentlich ist es kein Mysterium, überlegt Joona. Die logischste Erklärung lautet, dass es ihr gelungen ist, sich zu verstecken, bevor sie die Straßensperren erreichte.
Aber wo?
Sie muss jemanden kennen, der in Indal wohnt, jemanden, der eine Garage besitzt.
Joona hat darum gebeten, in Gegenwart einer Jugendpsychologin und eines Betreuers von der Opferhilfe mit den Mädchen sprechen zu dürfen, und versucht, sich an die erste Begegnung in dem kleinen Häuschen zu erinnern, als Gunnarsson mit den beiden Mädchen hereingekommen war, die sich in den Wald abgesetzt hatten. Das kleine rothaarige Mädchen hatte ferngesehen und mit dem Hinterkopf gegen die Wand gehämmert. Dem Mädchen namens Indie war bei den Händen vor dem Gesicht Vicky eingefallen, und daraufhin hatten alle losgeschrien und waren sich ins Wort gefallen, als sie merkten, dass Vicky verschwunden war. Eines der Mädchen glaubte, dass sie noch mit einer Überdosis Stesolid schlafen würde. Almira spuckte auf den Boden, und Indie rieb sich das Gesicht und schmierte dabei blauen Lidschatten auf ihre Hand.
Joona überlegt, dass irgendetwas mit Tuula war. Das rothaarige Mädchen mit den weißen Wimpern und der glänzenden rosafarbigen Trainingsanzugshose. Es hatte alle anderen angeschrien, sie sollten gefälligst still sein, selbst aber auch etwas gesagt, als sich alle gegenseitig ins Wort fielen.
Tuula hatte gesagt, Vicky sei zum Vögeln mit ihrem Typen abgehauen.
30
DAS ZWEI-STERNE-HOTEL IBIS liegt unweit des Polizeipräsidiums von Sundsvall in der Trädgårdsgatan. Das Ibis ist ein Hotel, in dem es nach Staubsauger, Teppichen und altem Zigarettenrauch riecht. Die Fassade besteht aus cremefarbigem Blech. Auf dem Tresen der Rezeption steht eine Schale mit Karamellbonbons. Die Polizei hat die Mädchen aus dem Haus Birgitta in fünf nebeneinanderliegenden Zimmern untergebracht und zwei uniformierte Wachen im Flur postiert.
Joona geht rasch über den abgewetzten Teppichboden.
Die Psychologin Lisa Jern erwartet Joona vor einer der Türen. Ihre dunklen Haare sind in der Stirn grau meliert, ihr Mund ist schmal und nervös.
»Ist Tuula schon hier?«, fragt Joona.
»Ja, das ist sie … aber warten Sie bitte«, sagt die Psychologin, als er die Hand auf die Türklinke legt. »Wenn ich es richtig verstanden habe, sind Sie als Beobachter der Landeskriminalpolizei hier und …«
»Das Leben eines kleinen Jungen ist in Gefahr«, unterbricht Joona sie.
»Tuula sagt so gut wie nichts und … als Kinder- und Jugendpsychologin muss ich Ihnen leider empfehlen abzuwarten, bis sie selbst die Initiative ergreift und von sich aus darüber spricht, was geschehen ist.«
»Dazu fehlt uns leider die Zeit«, entgegnet Joona und legt
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