Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Joona nach einer Weile.
»Ja, so«, antwortet Tuula schnell und hebt die Hände vor ihr Gesicht.
»Was denkst du, warum sie das getan hat?«
Tuula tritt die Teppichkante hoch und stampft sie wieder herunter:
»Vielleicht hatte sie ja Angst.«
»Hast du vorher schon einmal jemanden gesehen, der das gemacht hat?«
»Nein«, antwortet Tuula und kratzt sich am Hals.
»Ihr werdet in euren Zimmern nicht eingeschlossen?«
»Es ist fast wie in einer offenen Abteilung«, sagt Tuula lächelnd.
»Ist es üblich, dass ihr euch nachts hinausschleicht?«
»Bei mir nicht.«
Tuulas Mund wird klein und hart, und sie tut, als würde sie mit dem Zeigefinger auf die Psychologin schießen.
»Warum nicht?«, fragt Joona.
Sie begegnet seinem Blick und sagt leise:
»Ich habe Angst im Dunkeln.«
»Aber die anderen tun es?«
Joona beobachtet, wie Lisa Jern mit einer gereizten Falte zwischen den Augenbrauen zuhört.
»Ja«, flüstert Tuula.
»Und was tun sie, wenn sie sich aus dem Haus schleichen?«
Das Mädchen senkt den Blick und lächelt in sich hinein.
»Die sind immerhin alle älter als du«, fährt Joona fort.
»Ja«, erwidert Tuula, und Wangen und Hals laufen rot an.
»Treffen sie sich mit Jungen?«
Sie nickt.
»Macht Vicky das auch?«
»Ja, sie schleicht sich nachts raus«, antwortet Tuula und lehnt sich zu Joona vor.
»Weißt du, zu wem sie sich schleicht?«
»Dennis.«
»Wer ist das?«
»Keine Ahnung«, flüstert sie und leckt sich die Lippen.
»Aber er heißt Dennis? Kennst du seinen Nachnamen?«
»Nein.«
»Wie lange bleibt sie weg?«
Tuula zuckt mit den Schultern und zupft an einem losen Stück Klebeband, das unter der Sitzfläche des Stuhls hängt.
31
STAATSANWÄLTIN SUSANNE ÖST wartet vor dem Hotel Ibis neben einem großen Ford Farlane. Ihr Gesicht ist rund und ungeschminkt. Sie hat ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trägt eine schwarze Hose und eine graue Kostümjacke. Sie hat sich am Hals gekratzt, und ein Ende ihres Hemdkragens steht hoch.
»Haben Sie etwas dagegen, dass ich ein bisschen Polizistin spiele?«, fragt sie errötend.
»Ganz und gar nicht«, erwidert Joona und gibt ihr die Hand.
»Wir sind dabei, die Leute zu befragen, untersuchen Garagen, Scheunen, Parkplätze und so weiter«, sagt sie ernst. »Wir ziehen das Netz zu, es gibt hier nicht so viele Stellen, an denen man ein Auto verstecken kann …«
»Nein.«
»Aber nachdem wir nun einen Namen haben, geht es natürlich hoffentlich etwas schneller«, sagt sie lächelnd und öffnet die Fahrertür zu dem großen Ford. »Es gibt in dieser Gegend vier Personen mit dem Vornamen Dennis.«
»Ich fahre hinter Ihnen her«, sagt er und setzt sich in seinen Volvo.
Das amerikanische Auto schaukelt hin und her, als es in die Straße einbiegt und Richtung Indal fährt. Joona folgt ihm und denkt an Vicky.
Ihre Mutter Susie Bennet lebte bis zu ihrem Tod im letzten Winter als drogensüchtige Obdachlose. Vicky hat seit ihrem sechsten Lebensjahr in verschiedenen Familien und Heimen gelebt und auf die Art wahrscheinlich gelernt, schnell neue Beziehungen zu knüpfen und wieder aufzugeben.
Wenn Vicky sich aus dem Haus schleicht, um nachts jemanden zu treffen, muss derjenige sich in der näheren Umgebung aufhalten. Vielleicht wartet er im Wald oder auf dem Waldweg auf sie, vielleicht folgt sie der Landstraße 86 zu seinem Haus in Baggböle oder Västloning.
Der Asphalt trocknet allmählich, das Regenwasser sammelt sich in Straßengräben und seichten Pfützen. Der Himmel ist heller geworden, aber im Wald tropft es noch immer.
Die Staatsanwältin ruft Joona an, und er sieht, dass sie ihn beim Sprechen im Rückspiegel betrachtet.
»Wir haben jetzt einen Dennis in Indal gefunden«, sagt sie. »Er ist sieben … und einen anderen Dennis, draußen in Stige, aber der arbeitet derzeit in Leeds …«
»Bleiben also noch zwei«, fasst Joona zusammen.
»Ja, Dennis und Lovisa Karmstedt wohnen in einem Haus außerhalb von Tomming. Wir sind noch nicht bei ihnen gewesen. Außerdem gibt es noch einen Dennis Rolando, der kurz vor Indal bei seinen Eltern lebt. Wir sind bei den Eltern gewesen und haben nichts gefunden. Aber er besitzt ein großes Industriegebäude im Kvarnvägen, in das wir nicht hineinkommen … aber da ist sicher nichts, denn sie haben mit ihm gesprochen und er ist anscheinend im Auto auf dem Weg nach Sollefteå.«
»Brecht die Tür auf.«
»Okay«, sagt sie und beendet das Gespräch.
Die Landschaft öffnet
Weitere Kostenlose Bücher