Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
erneut seine Hand auf die Klinke.
»Warten Sie, ich … Es ist unglaublich wichtig, auf einer Ebene mit den Kindern zu sein, sie dürfen auf keinen Fall das Gefühl haben, angeprangert zu werden, sei es nun als krank oder als …«
Joona öffnet die Tür und betritt den Raum. Tuula Lehti sitzt mit dem Rücken zu einer Reihe von Fenstern auf einem Stuhl. Ein kleines Mädchen, bloß zwölf Jahre alt, in Trainingsanzug und Sportschuhen.
Zwischen den Lamellen der Holzjalousien hindurch sieht man eine Straße mit geparkten Autos. Alle Tische haben Platten aus Buchenfurnier, und das Zimmer ist mit grünem Teppichboden ausgelegt.
Am hinteren Ende des Zimmers sitzt ein Mann mit glatt gekämmten Haaren, der ein blaukariertes Flanellhemd trägt, er schaut auf sein Telefon. Joona nimmt an, dass er der Betreuer der Mädchen ist.
Joona setzt sich Tuula gegenüber hin und sieht sie an. Ihre Augenbrauen sind hell und die glatten Haare strähnig und rot.
»Wir sind uns heute Morgen schon kurz begegnet«, sagt er.
Sie verschränkt ihre sommersprossigen Arme auf dem Bauch. Ihre Lippen sind schmal und fast farblos.
»Scheißbulle«, murmelt sie.
Lisa Jern geht um den Tisch herum und setzt sich neben das kleine Mädchen mit der zusammengekauerten Körperhaltung.
»Tuula«, sagt sie mit sanfter Stimme. »Weißt du noch, was ich dir erzählt habe, dass ich mich manchmal wie Däumelinchen fühle? Das ist nicht schlimm, denn auch wenn man erwachsen ist, fühlt man sich manchmal so klein wie ein Daumen.«
»Warum quatschen hier alle so dämliches Zeug?«, fragt Tuula und sieht Joona in die Augen. »Liegt das daran, dass ihr schwer von Begriff seid … oder liegt es daran, dass ihr meint, ich wäre schwer von Begriff?«
»Wir glauben eher, dass du schwer von Begriff bist«, antwortet Joona.
Tuula lächelt erstaunt und will gerade etwas sagen, als Lisa Jern ihr versichert, dass das überhaupt nicht stimmt und der Kommissar nur einen Witz machen wollte.
Tuula schlingt die Arme fester um sich, starrt auf den Tisch herab und bläst ihre Backen auf.
»Du bist nicht schwer von Begriff«, wiederholt Lisa Jern nach einer Weile.
»Doch«, flüstert Tuula.
Sie spuckt einen zähen Faden Speichel auf den Tisch, schweigt, stochert in der Pfütze herum und zieht sie zu einem Stern.
»Möchtest du nicht reden?«, flüstert Lisa.
»Nur mit dem Finnen«, sagt Tuula fast unhörbar.
»Was hast du gesagt?«, fragt die Psychologin lächelnd.
»Ich rede nur mit dem Finnen da«, sagt Tuula und hebt das Kinn.
»Wie schön«, erwidert Lisa Jern steif.
Joona schaltet das Aufnahmegerät ein und geht ruhig die Formalitäten durch, nennt Zeit und Ort, die anwesenden Personen und den Grund für das Gespräch.
»Wie bist du ins Haus Birgitta gekommen, Tuula?«, fragt er.
»Ich war vorher in Lövsta … Da sind ein paar Sachen gelaufen, die vielleicht nicht so gut waren«, erzählt sie und senkt den Blick. »Ich bin in der geschlossenen Abteilung gelandet, obwohl ich dafür eigentlich noch zu jung bin … Dann habe ich mich zusammengerissen, ferngesehen und nach einem Jahr und vier Monaten bin ich ins Haus Birgitta verlegt worden.«
»Was ist der Unterschied … im Vergleich zu Lövsta?«
»Es ist … das Haus kommt einem wie ein richtiges Zuhause vor … Es liegen Teppiche auf dem Boden, und die Möbel sind nicht mit ein paar verdammten Schrauben an den Wänden befestigt … Und es ist auch nicht alles abgeschlossen und mit Alarmanlagen gesichert … Und man darf in Ruhe schlafen und bekommt frisch gekochtes Essen.«
Joona nickt und sieht aus den Augenwinkeln, dass der Betreuer immer noch in seinem Smartphone blättert. Die Psychologin Lisa Jern atmet durch die Nase, während sie ihnen zuhört.
»Was gab es denn gestern zu essen?«
»Tacos«, antwortet Tuula.
»Waren alle beim Essen dabei?«
Sie zuckt mit den Schultern.
»Ich denke schon.«
»Miranda auch? Hat sie gestern Abend auch Tacos gegessen?«
»Ihr braucht doch bloß ihren Bauch aufschlitzen und nachsehen – habt ihr das nicht getan?«
»Nein, haben wir nicht.«
»Warum nicht?«
»Wir sind noch nicht dazu gekommen.«
Tuula verzieht den Mund und zieht anschließend an einem losen Faden an ihrer Hose. Ihre Fingernägel sind abgekaut und die Nagelhäute abgerissen.
»Ich habe in das Isolierzimmer geguckt – ziemlich abgefahren«, sagt Tuula und lässt den Oberkörper vor und zurück pendeln.
»Hast du gesehen, wie Miranda gelegen hat?«, erkundigt sich
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