Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Ermittlungen nicht näher äußern will, aber dann interviewt der Journalist live einige der in der Wohngruppe lebende Mädchen:
»Ist doch klar, dass man wissen will, was los ist, also habe ich mich vorgedrängelt«, sagt ein Mädchen mit gebrochener Stimme. »Aber ich habe nicht so viel gesehen, die haben mich weggezogen, ich hab die angeschrien, aber dann hab ich sofort kapiert, dass das voll nichts bringt.«
Flora nimmt die Saftflasche und geht zum Kühlschrank.
»Magst du uns erzählen, was du gesehen hast?«
»Ja, ich hab Miranda gesehen, sie lag da irgendwie so auf dem Bett, genau so, kapieren Sie.«
Flora bleibt stehen und lauscht den Stimmen im Radio.
»Ihre Augen waren geschlossen?«, fragt der Reporter.
»Nein, so, mit beiden Händen vor dem Gesicht, um …«
»Scheiße, du lügst dir vielleicht einen Mist zusammen«, ruft jemand hinter dem Mädchen.
Plötzlich hört Flora etwas auf den Boden knallen und spürt, dass ihre Füße feucht werden. Sie schaut nach unten und sieht, dass sie die Flasche fallen gelassen hat. Plötzlich dreht sich ihr der Magen um, der Inhalt wallt hoch, und sie schafft es gerade noch in die kleine Toilette, ehe sie sich übergibt.
45
ALS FLORA AUS DER TOILETTE KOMMT , sind die Nachrichten vorbei. Eine Frau mit deutschem Akzent stellt Herbstrezepte vor. Flora sammelt die Glasscherben auf, wischt den Saft fort und bleibt mitten im Zimmer stehen. Sie starrt ihre kalten, weißen Hände an, geht zum Telefon im Flur und ruft die Polizei an.
Flora wartet und hört ein trockenes Knistern im Hörer, während der erste Klingelton ertönt.
»Polizei«, meldet sich mit müder Stimme eine Frau.
»Ja, hallo, ich heiße Flora Hansen und ich würde gerne …«
»Moment«, sagt die Stimme. »Ich habe sie nicht verstanden.«
»Also«, fängt Flora noch einmal an, »ich heiße Flora Hansen und möchte einen Hinweis zu dem Mord in Sundsvall geben.«
Es wird kurz still. Dann kehrt die müde, aber ruhige Stimme zurück:
»Was möchten Sie melden?«
»Wird man für solche Hinweise bezahlt?«, fragt Flora.
»Nein, tut mir leid.«
»Aber ich … ich glaube, dass ich das tote Mädchen gesehen habe.«
»Meinen Sie, dass Sie dabei waren, als es passiert ist?«, fragt die Polizistin schnell.
»Ich bin ein Medium«, antwortet Flora mit geheimnisvoller Stimme. »Ich habe Kontakt zu den Toten … und habe alles gesehen, aber ich glaube … aber ich glaube, dass ich mich besser erinnern würde, wenn ich Geld bekäme.«
»Sie haben Kontakt zu den Toten«, wiederholt die Beamtin müde. »Das ist es, was Sie uns melden möchten?«
»Das Mädchen hält sich die Hände vors Gesicht«, sagt Flora.
»Das steht verdammt nochmal in den Schlagzeilen«, schimpft die Frau ungeduldig.
Floras Herz schnürt sich vor Scham zusammen. Sie steht kurz davor, sich wieder zu übergeben. Kalter Schweiß läuft ihr den Rücken herab. Sie hat nicht geplant, was sie am Telefon sagen würde, erkennt nun jedoch, dass sie besser etwas anderes erzählt hätte. Die Abendzeitungen mit den Schlagzeilen lagen bereits im Supermarkt aus, als sie für Hans-Gunnar Lebensmittel und Zigaretten einkaufen war.
»Das wusste ich nicht«, flüstert sie. »Ich erzähle nur, was ich sehe … ich habe auch noch eine Menge anderer Dinge gesehen, für die sie vielleicht bezahlen möchten.«
»Wir bezahlen grundsätzlich nicht für …«
»Aber ich habe die Mordwaffe gesehen, Sie denken vielleicht, dass Sie die Mordwaffe gefunden haben, aber Sie irren sich, denn ich habe …«
»Wissen Sie eigentlich, dass es verboten ist, uns ohne Grund anzurufen?«, unterbricht die Polizistin sie. »Es ist strafbar. Ich möchte nicht schroff klingen, aber Sie verstehen hoffentlich, dass Sie meine Zeit in Anspruch genommen haben, während vielleicht jemand, der wirklich etwas gesehen hat, versucht, hier anzurufen.«
»Ja, aber ich …«
Flora kommt gerade noch dazu, von der Mordwaffe zu erzählen, als es an ihrem Ohr klickt. Sie betrachtet das Telefon und wählt anschließend noch einmal die Nummer der Polizei.
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DIE SCHWEDISCHE STAATSKIRCHE hat Pia Abrahamsson vorübergehend in einer Wohnung in einem großen Holzhaus untergebracht, das zu einer Eigenheimsiedlung in Sundsvall gehört. Die Wohnung ist groß und schön, eingerichtet mit klassischen Möbeln von Carl Malmsten und Bruno Mathsson. Die Diakone, die für sie einkaufen waren, haben sie mehrfach ermahnt, das persönliche Gespräch mit einem der ansässigen Pfarrer zu
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