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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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standen in Vicky Bennets Kleiderschrank.
    Wir haben es mit zwei Morden zu tun, überlegt Joona. Der eine scheint primär und der andere sekundär zu sein. Miranda war das primäre Opfer, aber um sie töten zu können, war der Täter gezwungen, Elisabeth ihre Schlüssel abzunehmen.
    Nach der Rekonstruktion der Ereignisse durch die Kriminaltechniker könnte ein Streit am früheren Freitagabend der Auslöser gewesen sein, auch wenn eine längerfristige Rivalität den Hintergrund gebildet haben mag.
    Vicky Bennet hatte den Hammer und die großen Stiefel, die von allen benutzt wurden, vor dem Beginn der Bettruhe aus der Besenkammer geholt und anschließend auf ihrem Zimmer gewartet. Als die anderen Mädchen eingeschlafen waren, ging sie zu Elisabeth Grim und verlangte die Schlüssel von ihr. Elisabeth weigerte sich, sie auszuhändigen, und floh durch den Flur auf den Hof und in die Waschküche. Vicky Bennet folgte ihr und erschlug sie mit dem Hammer, nahm die Schlüssel an sich, kehrte ins Hauptgebäude zurück, schloss das Isolierzimmer auf und erschlug Miranda. Aus irgendeinem Grund hob sie ihr Opfer auf das Bett und platzierte seine Hände auf dem Gesicht. Vicky kehrte in ihr Zimmer zurück, versteckte Hammer und Stiefel und floh danach durchs Fenster in den Wald.
    So stellen sich die Techniker, die den Verlauf untersucht haben, den Tathergang vor.
    Joona weiß, dass es Wochen dauern kann, bis das Labor die Ergebnisse aller Proben liefern kann, und die Kriminaltechniker einfach voraussetzen, dass sowohl Miranda als auch Elisabeth mit dem Hammer getötet wurden.
    Aber Miranda wurde mit einem Stein ermordet.
    Joona sieht sie vor sich, ein schlankes Mädchen auf einer Pritsche, die Haut gleichsam zu Porzellan erblasst, die aufeinanderliegenden Fußknöchel, der blaue Fleck auf dem Oberschenkel, der Baumwollslip, das kleine Piercing im Nabel, die Hände auf ihrem Gesicht.
    Warum wurde sie mit einem Stein getötet, wenn Vicky einen Hammer hatte?
    Konzentriert betrachtet Joona jedes einzelne Foto vom Tatort und stellt sich wie üblich das Geschehen vor. Er nimmt die Stelle des Mörders ein und zwingt sich, jede furchterregende Entscheidung als Notwendigkeit zu betrachten. Für einen Menschen, der einen anderen tötet, ist der Mord die einzig mögliche Wahl. Die einfachste oder beste Lösung in diesem Moment.
    Die Tat erscheint ihm weder schrecklich noch bestialisch, sondern entweder rational oder verlockend.
    Manchmal kann der Täter nicht über den ersten Schlag hinausschauen, es muss nur Platz für diesen einen geben, er rechtfertigt nur einen einzigen Schlag. Der nächste Schlag liegt in weiter Ferne, vielleicht Jahrzehnte entfernt, ehe auch der ihn plötzlich übermannt. Für den Mörder kann der Tod das Ende einer epischen Saga sein, die mit dem ersten Schlag beginnt und dreizehn Sekunden später mit dem letzten endet.
    Alles deutet auf Vicky Bennet hin, alle gehen davon aus, dass sie Miranda und Elisabeth ermordet hat, aber dennoch scheint niemand Vicky eine solche Tat zuzutrauen, weder psychisch noch körperlich.
    Aber es steckt in jedem Menschen, denkt Joona und legt den Bericht in Gunnarssons Fach zurück. Wir sehen die Spiegelbilder dieser Tatsache in unseren Träumen und Fantasien. Jeder trägt Gewaltbereitschaft in sich, doch die allermeisten können sich bezähmen.
    Gunnarsson kommt ins Polizeipräsidium und hängt seinen zerknitterten Mantel auf. Er rülpst hinter vorgehaltener Hand und geht in den Pausenraum. Als er mit einer Tasse Kaffee in der Hand sein Büro betritt und Joona sieht, grinst er:
    »Haben die in Stockholm keine Sehnsucht nach Ihnen?«
    »Nein«, antwortet Joona.
    Gunnarsson riecht an einer Zigarettenschachtel und wendet sich an die Frau, die an ihrem Computer sitzt:
    »Alle Berichte gehen direkt an mich.«
    »In Ordnung«, bestätigt sie mit gesenktem Blick.
    Gunnarsson murmelt etwas.
    »Wie ist das Gespräch mit Daniel Grim gelaufen?«, fragt Joona.
    »Nicht, dass es Sie irgendetwas anginge, aber es ist gut gelaufen. Allerdings musste ich verdammt vorsichtig sein.«
    »Was wusste er über Vicky?«
    Gunnarsson bläst hörbar Luft aus und schüttelt den Kopf:
    »Nichts, was der Polizei von Nutzen sein könnte.«
    »Aber Sie haben ihn nach Dennis gefragt?«
    »Dieser idiotische Doktor hat mir auf die Finger geguckt wie eine verdammte Mutter und das Ganze abgebrochen.«
    Gunnarsson kratzt sich heftig am Hals und scheint sich nicht bewusst zu sein, dass er ein Feuerzeug und eine

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