Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Zigarettenschachtel in der Hand hält.
»Ich möchte eine Kopie von Holger Jalmerts Bericht bekommen, sobald er vorliegt«, erklärt Joona. »Außerdem möchte ich die Laborergebnisse sehen und …«
»Oh nein, verdammt, in meinem Sandkasten dürfen Sie nicht mehr mitspielen«, unterbricht Gunnarsson ihn. Er lächelt seine Kollegin breit an, wird jedoch unsicher, als er Joonas ernstem, grauem Blick begegnet.
»Sie haben keine Ahnung, wie Sie Vicky Bennet und den Jungen finden sollen«, sagt Joona bedächtig und steht auf. »Und Sie haben keine Ahnung, wie Sie in diesem Mordfall weiterkommen sollen.«
»Ich rechne mit Hinweisen aus der Bevölkerung«, entgegnet Gunnarsson. »Es gibt immer irgendjemanden, der etwas gesehen hat.«
44
AN DIESEM MORGEN ERWACHTE FLORA unmittelbar vor dem Klingeln des Weckers. Hans-Gunnar wollte um 8.15 im Bett frühstücken. Als er aufgestanden war, sollte Flora lüften und das Bett machen. Ewa saß in einer gelben Jogginghose und ihrem hautfarbenen BH auf einem Stuhl, um sie dabei zu überwachen. Sie stand auf und kontrollierte, ob das Betttuch auch vollkommen glatt und ordentlich unter die Ecke der Matratze gesteckt war. Die Stricktagesdecke sollte an beiden Seiten exakt gleich tief herabhängen, und Flora musste sie drei Mal neu auflegen, ehe Ewa zufrieden war.
Jetzt ist Mittagessenszeit, und Flora kommt mit Einkaufstüten voller Lebensmittel und Zigaretten für Hans-Gunnar nach Hause, gibt ihm das Wechselgeld zurück und wartet anschließend wie üblich im Stehen, während er den Kassenzettel studiert.
»Verdammt, ist der Käse teuer«, sagt er unzufrieden.
»Du hast gesagt, dass ich Cheddar kaufen soll«, bemerkt Flora.
»Aber doch nicht, wenn er so schweineteuer ist, kapierst du das nicht, dann kauft man natürlich einen anderen Käse.«
»Entschuldige, ich dachte …«
Sie kommt nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden. Plötzlich blitzt Hans-Gunnars Siegelring vor ihrem Gesicht auf, als er ihr eine kräftige Ohrfeige verpasst. Es geht sehr schnell. Ihr Ohr klingelt, und ihre Wange brennt.
»Du wolltest doch Cheddar«, sagt Ewa von der Couch. »Dafür kann sie doch nichts.«
Hans-Gunnar murmelt etwas über Idioten und geht auf den Balkon hinaus, um eine zu rauchen. Flora räumt die Lebensmittel ein, geht ins Mädchenzimmer und setzt sich auf das Bett. Vorsichtig berührt sie ihre Wange und denkt, wie satt sie Hans-Gunnars Ohrfeigen hat. Manchmal schlägt er sie mehrmals täglich. Sie merkt immer, wenn es bald wieder so weit ist, denn nur dann sieht er sie an. Das Schlimmste ist nicht der Schmerz, am schlimmsten sind seine Atemlosigkeit und der Blick, der hinterher auf ihr ruht.
Sie kann sich nicht erinnern, dass er sie schlug, als sie klein war. Damals arbeitete er und war nur selten zu Hause. Einmal zeigte er ihr auf dem Globus in seinem Schlafzimmer Länder.
Ewa und Hans-Gunnar gehen aus, um mit ihren Freunden Boule zu spielen. Flora sitzt in ihrem kleinen Zimmer. Sobald sie hört, dass die Tür ins Schloss fällt, richtet sie ihren Blick auf die Zimmerecke. Auf der alten Kommode steht ein Ziergegenstand, den sie in der Mittelstufe von ihrer Lehrerin geschenkt bekommen hat. Ein Karren aus Glas, gezogen von einem Glaspferd. In der obersten Schublade bewahrt sie ein Kuscheltier aus ihrer Kindheit auf: eine Schlumpf-Puppe mit blonden Haaren und hochhackigen Schuhen. In der mittleren Lade liegt ein Stapel sorgsam zusammengefalteter Handtücher. Flora hebt die Handtücher hoch und holt das grüne Sonntagskleid heraus. Anfang des Sommers hat sie es im Secondhandladen der Heilsarmee gekauft, es niemals außerhalb dieses Zimmers getragen, in diesen vier Wänden jedoch oft anprobiert, wenn Ewa und Hans-Gunnar nicht zu Hause sind.
Sie knöpft gerade ihre Strickjacke auf, als aus der Küche Stimmen zu ihr hereindringen. Das Radio ist an. Sie will es ausschalten und entdeckt dabei, dass Ewa und Hans-Gunnar Marmorkuchen gegessen haben. Der Fußboden vor der Vorratskammer ist voller Krümel. Auf der Spüle haben sie ein halbvolles Glas Erdbeersaft und die Flasche stehen lassen.
Flora holt ein Putztuch und wischt die Krümel vom Fußboden auf, wäscht den Lappen aus und spült das Glas.
Im Radio wird über einen Mord in Nordschweden berichtet.
In einer Einrichtung für Jugendliche mit selbstverletzendem Verhalten ist ein Mädchen ermordet worden.
Flora wringt den Lappen aus und hängt ihn über den Wasserhahn.
Sie hört, dass die Polizei sich mit Hinweis auf die laufenden
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