Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Grim keine eingehenden Anrufe annehmen darf, bis sechs Uhr jedoch noch Besuchszeit ist.
Sie gibt die Adresse in den Bordcomputer des Wagens ein und sieht, dass es dreihundertfünfundsiebzig Kilometer sind und sie das Krankenhaus um Viertel vor sieben erreichen wird, wenn sie auf der Stelle losfährt. Sie wendet auf der Polhemsgatan, fährt auf den Bürgersteig vor dem Eingang des Polizeipräsidiums, dann wieder auf die Straße, um schließlich der Fleminggatan zu folgen.
An der ersten Ampel ruft Robert Bianchi an und erinnert sie an den Termin mit dem Unternehmen Kinnevik und Sven Warg in zwanzig Minuten im Waterfront Expo.
»Das schaffe ich nicht«, sagt sie kurz angebunden.
»Soll ich ihnen sagen, dass sie ohne dich anfangen sollen?«
»Robert, ich weiß nicht, wann ich zurück sein werde, aber heute jedenfalls nicht mehr.«
Auf der Europastraße 4 stellt sie die Geschwindigkeit mit Hilfe des Tempomaten so ein, dass sie exakt neunundzwanzig Stundenkilometer über der erlaubten liegt. Bußgelder spielen keine Rolle, aber es wäre nicht gut, wenn man ihr den Führerschein abnehmen würde.
84
JOONAS GEFÜHL SAGT IHM , dass Vicky Bennet und der kleine Junge leben, er ist sich ganz sicher. Er kann sie jetzt nicht aufgeben.
Ein Mädchen, das zwei Menschen erschlagen hat und Gesichter mit einer abgeschlagenen Flasche zerfleischte, hat nun einer Mutter ihren kleinen Jungen weggenommen und versteckt sich irgendwo mit ihm.
Für alle anderen sind die beiden längst tot.
Keiner sucht mehr nach ihnen.
Joona erinnert sich daran, womit er beschäftigt war, als ihn seine Kollegin Sonja Rask aus Sundsvall anrief und ihm von dem Überwachungsvideo der Tankstelle erzählte. Er hatte mit einem der Mädchen aus dem Haus Birgitta gesprochen, das ihm erzählte, Vicky habe Zyprexa genommen.
Joona hatte sich von Åhléns Frau, einer Psychiaterin, über die Nebenwirkungen des Mittels aufklären lassen.
Es fehlen immer noch zu viele Komponenten, denkt er. Aber es erscheint ihm durchaus möglich, dass Vicky Bennet eine Überdosis Zyprexa eingenommen hatte.
Caroline meinte, dass es im ganzen Körper kribbelt, wenn man eine Tablette im Mund hat, und beschrieb plötzliche Attacken von Rastlosigkeit und Wut.
Er schließt die Augen und stellt sich Vicky vor, als sie die Schlüssel verlangte. Sie bedrohte Elisabeth mit dem Hammer, geriet außer sich vor Wut und schlug immer wieder zu. Anschließend nahm Vicky der Toten die Schlüssel ab und schloss die Türzum Isolierzimmer auf. Miranda saß, die Decke um die Schultern geschlungen, auf dem Stuhl, als Vicky hereinkam und ihr mit einem Stein den Schädel einschlug.
Sie schleppte Miranda zum Bett und legte ihr die Hände aufs Gesicht.
Erst danach ebbte ihr Zorn ab.
Vicky war verwirrt, nahm die blutige Decke mit und verbarg sie unter dem Bett, woraufhin die beruhigende Wirkung des Medikaments einsetzte. Wahrscheinlich wurde sie furchtbar müde, trat bloß noch die Stiefel in den Schrank, verbarg den Hammer unter ihrem Kissen, legte sich hin und schlief ein. Nach einigen Stunden wachte sie auf und begriff, was sie getan hatte, bekam panische Angst, floh durchs Fenster und lief in den Wald.
Das Medikament kann ihre Wut und den Schlaf in den blutigen Laken erklären.
Aber was hatte sie mit dem Stein gemacht? Gab es überhaupt einen Stein?
Erneut empfindet Joona große Unsicherheit – zum zweiten Mal in seinem Leben fragt er sich, ob Åhlén sich vielleicht doch irrt.
85
FÜNF MINUTEN VOR SECHS betritt Elin Abteilung 52 B, hält eine Hilfskrankenschwester auf und teilt ihr mit, dass sie Daniel Grim besuchen möchte.
»Die Besuchszeit ist vorbei«, erwidert die Frau und geht weiter.
»In fünf Minuten«, versucht Elin lächelnd einzuwenden.
»Wir lassen ab Viertel vor niemanden mehr herein, um mit unserer Arbeit weiterzukommen.«
»Aber ich bin extra aus Stockholm gekommen«, fleht Elin sie an.
Die Krankenschwester bleibt stehen und sieht sie misstrauisch an.
»Wenn wir für jeden eine Ausnahme machen, laufen hier rund um die Uhr Leute herum«, sagt sie barsch.
»Bitte, lassen Sie mich doch nur kurz …«
»Aber die Zeit reicht ja nicht einmal für eine Tasse Kaffee.«
»Das macht nichts«, beteuert Elin.
Die Krankenschwester scheint immer noch zu zögern, bedeutet Elin aber dann doch mit einem Kopfnicken, ihr zu folgen, biegt rechts ab und klopft kurz an die Tür eines Krankenzimmers.
»Danke«, sagt Elin und wartet, bis die Krankenschwester weitergeht, ehe sie den
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